Solange du atmest
in dem Moment, in dem der Bohrkopf durch den massiven Eichendeckel drang, erkannte Craig, dass der Lärm von einer Bohrmaschine ausging. Und ihm wurde klar, dass er durch das winzige Loch, das auf diese Weise produziert wurde, in den nächsten Stunden gerade so viel Sauerstoff bekommen würde, wie er brauchte.
Im ersten Moment war eine Woge der Erleichterung über ihn hinweggerollt. Er hatte sich schon gefragt, wie lange die Luft in dem geschlossenen Sarg reichen würde. Jetzt wusste er wenigstens, dass er nicht ersticken musste.
Doch dann hatte er begriffen, dass diese Aktion auch noch etwas anderes bedeutete: Nun konnte er sicher sein, dass er so schnell nicht hier herauskommen würde.
Diese Erkenntnis lähmte ihn bis ins Mark.
Inzwischen war der Flüsterer wieder fort und Craig allein. Allein mit sich und der Dunkelheit.
Warum ich? fragte er sich immer wieder. Wie ein Mantra betete er diese zwei Worte ununterbrochen vor sich hin. Warum ich? Warum ich? Warum, um alles in der Welt, ausgerechnet ich?
Er atmete tief durch und zwang sich, ruhig zu bleiben. Er durfte jetzt auf keinen Fall in Panik geraten. Am besten, er machte einfach die Augen zu und stellte sich vor, er läge zu Hause in seinem Bett, um zu schlafen.
Doch sobald er die Lider geschlossen hatte, sah er sich vor seinem geistigen Auge â feiernd und angeheitert bei seinem Junggesellenabschied.
Dann der Moment, in dem er nach drauÃen trat und den Leichenwagen erblickte. Dann der Sarg und â¦
Craig riss die Augen auf. Für einen winzigen Moment hatte er gehofft, er hätte nur geträumt. Einen dieser schrecklichen Albträume, die einem so real vorkommen, dass man schweiÃgebadet und schwer atmend aufwacht. Einen, der einem auch nach dem Aufwachen noch kurz real vorkommt.
Doch als er jetzt trotz der geöffneten Augen nichts sah und beim kläglichen Versuch, die Arme auszustrecken, sofort gegen die gepolsterten Innenwände des Sarges stieÃ, wusste er, dass das alles hier kein Traum war.
Es war Realität. Schreckliche, grausame Realität. Ein Irrer, der offenbar seinen Spaà daran hatte, ihn zu quälen, hatte ihn in seiner Gewalt. Unwillkürlich musste Craig an die vielen Psychothriller denken, die er gemütlich, mit einer Tüte Kartoffelchips in der Hand, auf seinem riesigen LCD-Fernseher angeschaut hatte. Filme, in denen arglose Menschen entführt wurden, um sie dann zu zwingen, schreckliche Dinge zu tun. Oder in denen Menschen gefoltert oder bei lebendigem Leib auseinandergenommen wurden.
Ihm wurde übel, wenn er daran dachte, wie unrealistisch er diese Storys gefunden hatte, solange er auf seiner Couch im Wohnzimmer saÃ.
An den Haaren herbeigezogen.
Und nun steckte er plötzlich mittendrin und â¦
Er verharrte, als er plötzlich ein seltsames Geräusch hörte, das von drauÃen an sein Ohr drang.
Verwundert runzelte er die Stirn. Es klang wie ⦠ja, wie ein lang gezogenes Heulen. Ein Heulen wie von einem ⦠Wolf?!
Entsetzt hielt Craig die Luft an. Mein Gott, nein. Bitte nicht!
3. KAPITEL
31. Oktober, 21:10 Uhr, Autobahnrastplatz in der Nähe von Bradenton, Florida
Der Rasthof am äuÃersten Rand von Bradenton war ein typisches Diner, das hauptsächlich von Truckern auf der Durchreise angesteuert wurde, da es sich direkt am Highway U.S. 41 befand.
Und so standen auf dem Parkplatz, der nur von den Neonreklamen des Diners erhellt wurde, fast nur Lastwagen, als Miley und ihre Freundinnen knapp eine halbe Stunde später dort eintrafen.
âSeht ihr Fletchers Wagen irgendwo?â, fragte Miley nervös. âEr müsste schon lange hier sein!â Seit dem Telefonat mit ihm war sie mit den Nerven am Ende. Dass er so geheimnisvoll tat und ihr nicht sagen wollte, warum er sie unbedingt treffen wollte, machte sie fast verrückt. Denn wenn Fletcher sich so merkwürdig verhielt, musste irgendetwas Schreckliches passiert sein. Er war sonst immer die Ruhe selbst und blieb auch dann noch gelassen, wenn um ihn herum alle in Panik gerieten.
Sie war so besorgt gewesen, dass sie fast im Pyjama aus dem Haus der Walthams gestürmt wäre. Irgendwie war es Juna gelungen, sie davon abzuhalten. Und ihre Freundin hatte ihr klargemacht, dass sie in ihrem aufgewühlten Zustand auf keinen Fall allein fahren durfte. Da Juna aber viel zu viel getrunken hatte, um noch zu fahren, war Teri schlieÃlich hinters Steuer ihres Wagens gestiegen. Zuvor hatten
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