Solange du schläfst
vor?«
Claudia drückte die Schultern durch und schaute mir fest in die Augen. »Geh allein zu Konstantins Feier. Lern die Jugendlichen hier im Dorf kennen und gib ihnen vor allen Dingen die Chance,
dich
kennenzulernen. Wenn du dann immer noch der Meinung bist, dass alle miteinander hirnlose Dummköpfe sind, die es einzig und allein auf deinen Jérôme abgesehen haben, dann brauchst du keinen von denen jemals wieder eines Blickes zu würdigen. Einverstanden?«
Typisch Claudia. Sie hatte mal wieder nichts kapiert und musste hemmungslos übertreiben. Ich schüttelte den Kopf. »So, wie du das gleich wieder darstellst, ist es doch nun wirklich nicht …«
Aber weiter kam ich nicht, weil Claudia mir ins Wort fiel. »Schatz, lass uns bitte nicht schon wieder darüber streiten, ob einer von uns übertreibt und Gespenster sieht oder nicht. Gib dir einfach einen Ruck und sag Ja. Tu mir den Gefallen«, flehte sie mich an.
Ich hob resigniert die Schultern. »Wenn es dir so wichtig ist«, murmelte ich halbherzig.
Claudia lehnte sich ein Stückchen zu mir herüber und strich mir mit dem Handrücken sanft über die Wange. »Ja, Anna. Es ist mir sehr wichtig.«
Ich verdrehte die Augen. »Okay«, gab ich schließlich nach.
Meine Mutter strahlte zufrieden, und in mir machte sich das bittere Gefühl breit, dass ich soeben Jérôme verraten hatte. Und vielleicht auch mich selbst.
Kurze Zeit später holte ich mein Rad aus dem Schuppen und radelte die schmale Landstraße Richtung Tönisberg hinauf. Mit jedem Meter, den ich mich dem Hof näherte, fühlte ich mich unbehaglicher.
Als ich schließlich zögerlich den Zeigefinger auf den Klingelknopf legte, hatte sich das schlechte Gewissen in jeder Faser meines Körpers ausgebreitet.
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich Jérôme erklären sollte, dass ich morgen Abend zu der Geburtstagsfeier von Konstantin gehen würde, ohne ihn damit zu verletzen. Wie konnte ich ihm das nur antun? Nach all dem, was Konstantin über Jérôme gesagt hatte.
Aber mir blieb keine Zeit zum Grübeln. Die Tür wurde schwungvoll aufgezogen und ein über beide Ohren strahlender Jérôme stand vor mir.
»Hi«, murmelte ich und ließ beschämt den Blick sinken.
Jérôme schien mir nichts anzumerken. Er zog mich mit einem stürmischen Ruck in die Arme, küsste mich und sagte dann aufgeregt: »Ich habe eine Überraschung für dich.«
Seine dunklen Augen funkelten vor Begeisterung. »Dazu musst du allerdings deine Eltern davon überzeugen, dass sie dich von Samstag auf Sonntag woanders übernachten lassen. Oder dir zumindest erlauben, erst ziemlich spät nach Hause zu kommen.«
»Samstag? Übernachten?« Ich erschrak und wurde sofort von einer Welle von Schuldgefühlen erfasst.
Jérôme deutete meine Reaktion jedoch völlig falsch. »Oh, du denkst jetzt sicher … ich … ich … Aber nein, so habe ich das überhaupt nicht gemeint«, stammelte er verlegen.
Als mir klar wurde, wovon er sprach, hatte ich das Gefühl, als ob ich kopfüber in einen Berg von Brennnesseln gefallen wäre, meine Haut schien Feuer gefangen zu haben.
»Ähm«, machte ich und brach ab.
Jérôme ließ die Arme von meinen Schultern sinken und wich einen Schritt zurück. »Du-du verstehst das ganz falsch, also ich …« Er stockte. Schwankte vom linken Bein auf das rechte und wieder zurück und kratzte sich dabei so umständlich am Hinterkopf, dass sein Arm das halbe Gesicht verdeckte. »Also, ja klar habe ich schon mal daran gedacht. Aber das hat natürlich noch Zeit und ich will dich überhaupt nicht drängen. Ich möchte einfach nur einen schönen Abend mit dir verbringen und vielleicht sogar die ganze Nacht, aber nicht weil ich mit dir … Na ja, du weißt schon, oder?«
»Alles klar«, sagte ich trocken. »Wo hast du den Schinken versteckt?«
»Schinken?«, fragte Jérôme irritiert.
Ich warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu und senkte meine Stimme. »Jetzt lerne ich also endlich den Gladiator in dir kennen, der mich in den Dschungel verschleppt, um mir seine gewaltige Halsschlagader zu präsentieren.«
Endlich hatte Jérôme begriffen, dass ich auf mein Gespräch mit Konstantin anspielte, und fing wie befreit an zu lachen.
In diesem Moment kam Jerômes Tante aus der Küche in die Diele geeilt. Als sie uns in der Eingangstür entdeckte, blieb sie abrupt stehen. »Oh, tut mir leid«, murmelte sie und wollte schon wieder in die Küche verschwinden. Aber Jérôme hielt sie zurück.
»Das ist übrigens Anna«,
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