Solange du schläfst
warmer Schauer lief mir über den Rücken.
»Anna«, flüsterte er mir ins Ohr, »ich freu mich. Ich freu mich sogar sehr …«
»Claudia?« Ich öffnete die Küchentür. »Was gibt’s zum Abendessen?«
Die Küche war leer. Genauso wie der Küchentisch.
Um Punkt sieben steht das Abendessen auf dem Tisch. Sei bitte rechtzeitig zu Hause
.
Das ist mal wieder typisch, dachte ich.
Ich ging in den Flur und rief nach oben: »Bist du im Büro?«
Keine Antwort.
Auch im Wohnzimmer war niemand. Mit einem Seufzer marschierte ich in die Küche zurück, holte eine Pfanne heraus, nahm drei Eier und Milch aus dem Kühlschrank, vermischte beides in der Pfanne und stellte die Herdplatte auf die höchste Stufe. Dann wollte ich kurz in den Pferdestall gehen, um nachzuschauen, ob meine Mutter wenigstens die Pferde gefüttert hatte.
»Schätzchen«, erklang es plötzlich hinter mir, als meine Hand schon auf dem Türgriff lag. »Ich habe dich gar nicht nach Hause kommen hören. Oh, machst du uns Rühreier? Ist es denn schon so spät?« Claudia warf einen hektischen Blick auf ihre Uhr. »Ach, ich habe mal wieder vollkommen die Zeit vergessen.« Sie verdrehte die Augen.
»Wo warst du denn?«, fragte ich vorwurfsvoll. »Ich habe doch ein paarmal laut gerufen.«
Meine Mutter antwortete nicht, fing stattdessen an, in der Küche auf und ab zu gehen. Ich beobachtete sie dabei und fragte mich, ob mir nun die nächste Hiobsbotschaft des Tages bevorstand.
»Ist etwas?«, fragte ich nach einer Weile.
Claudia holte einen Kochlöffel aus der Schublade und schob damit die inzwischen fest gewordene Masse aus Eiern und Milch in der Pfanne hin und her.
»Deckst du schon mal den Tisch, bitte? Aber nur für uns. Carsten kommt später. Er hat gerade angerufen. Im Brotkorb sind noch Brötchen von heute Morgen.«
Claudia nahm die Pfanne vom Herd und starrte eine Weile wie hypnotisiert das Rührei darin an.
»Du hast doch irgendwas«, sagte ich noch einmal.
Claudia schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Es ist alles in Ordnung. Ich bin nur etwas müde. Du musst dir keine Sorgen machen.«
Sorgen? Warum soll ich mir Sorgen machen?, dachte ich beunruhigt.
»Claudia, was …«
Sie unterbrach mich. »Es ist wirklich alles in Ordnung, Anna. Dein Vater und ich hatten nur eine kleine Diskussion, das ist alles. Aber ich habe keine Lust, darüber zu reden. Sei bitte nicht böse, okay?«
Ich nickte.
»Und, wie war es bei Jérôme?«, fragte sie betont heiter.
Ich zuckte mit den Schultern. »Darüber habe
ich
jetzt keine Lust zu reden.«
»Okay«, erwiderte meine Mutter daraufhin nur.
Nachdem wir schweigend gegessen und anschließend gemeinsam das Geschirr in die Spülmaschine geräumt hatten, merkte ich, wie erschlagen ich mich fühlte.
»Ich geh schlafen«, verkündete ich.
Claudia, die mit ihren Gedanken schon wieder kilometerweit entfernt zu sein schien, hob erstaunt den Kopf. »So früh? Morgen kannst du doch ausschlafen. Oder willst du für die Party frisch und munter sein?«
Ich zuckte unmerklich zusammen. »Ja, ähm, klar doch.« Dann drehte ich mich um und ging die Treppe hinauf.
In meinem Zimmer überfiel mich schlagartig eine große graue Welle der Hoffnungslosigkeit. Noch drei Monate. Drei kurze Monate, die im Flug vorbeigehen würden. Ein Fingerschnipser und dann war das mit Jérôme und mir Geschichte.
Es ist sinnlos
, stichelte die Stimme in meinem Kopf.
Mach lieber gleich Schluss mit ihm, bevor du dich noch mehr in ihn verliebst und er dir das Herz bricht, wenn er geht
.
Aber war mehr überhaupt noch möglich? Gab es für das, was ich inzwischen für Jérôme empfand, wirklich noch eine Steigerung?
Ich ging zum Fenster und schaute hinaus. Der Ausblick ödete mich an.
Ich seufzte tief, kehrte der ländlichen Idylle den Rücken und ging zu meinem Schreibtisch hinüber. In der obersten Schublade lag eine Tafel Vollmilchschokolade. Hunger hatte ich eigentlich keinen. Trotzdem brach ich einen Riegel davon ab und steckte ihn mir in den Mund.
Kauend setzte ich mich aufs Bett und versuchte angestrengt, auf andere Gedanken zu kommen. Aber die ganze Zeit konnte ich nur daran denken, dass mein Leben gerade angefangen hatte, richtig gut zu werden. Und mit einem Schlag war wieder alles scheiße.
Dass ich mir währenddessen ein Schokostückchen nach dem anderen in den Mund schob, nahm ich gar nicht richtig wahr. Schließlich war die ganze Tafel weg und mir war übel.
»Mist!«, fluchte ich und zerfetzte wütend das Schokoladenpapier in
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