Solange du schläfst
Jérôme plötzlich stehen. »Warte hier.«
»Spinnst du?«, sagte ich. »Warum soll ich mitten im Wald stehen bleiben? Und was machst du?«
Jérôme legte den Kopf schief und grinste. »Na, na, nicht so viele Fragen auf einmal.«
»Ich denke ernsthaft darüber nach, dich zu erwürgen«, gab ich zurück.
»Auweia.« Jérôme ließ die Taschen auf den Boden sinken und streckte die Hände ergeben in die Höhe. »Bitte nicht, es wäre doch wirklich schade um so ein hübsches Kerlchen wie mich, oder?«
Ich verzog spöttisch den Mund. »Eingebildeter Spinner!«
»Bevor das hier noch schlimmer mit dir wird, verzieh ich mich lieber kurz, und du wartest hier.«
»Aber …«, wollte ich erneut protestieren.
»Nichts aber. Warte einfach. Und keine Angst, die Vampire schlafen noch. Die kommen erst um Mitternacht, wenn es richtig schön gruselig ist.«
Jérôme nahm die Taschen vom Boden und entfernte sich mit eiligen Schritten von mir. Dann blieb er noch einmal kurz stehen und wandte sich zu mir um. »Nicht von der Stelle rühren!«,rief er und schon war er zwischen den dicht beieinanderstehenden Bäumen verschwunden.
Ich schaute ihm fassungslos hinterher.
Schließlich hockte ich mich auf einen einigermaßen gemütlich aussehenden Baumstumpf, zog meine Schuhe aus und begann, mit beiden Händen meine schmerzenden Füße zu massieren.
Da hörte ich hinter mir ein Rascheln und fuhr ruckartig herum. Mein Herz dröhnte gegen meinen Brustkorb, während ich mich angstvoll umblickte. Aber ich konnte nichts entdecken.
Nach einer halben Ewigkeit erschien Jérôme endlich wieder zwischen den Bäumen. Ich sprang sofort auf und lief ihm barfuß entgegen. »Das wurde aber auch Zeit«, murmelte ich.
Jérôme schmunzelte. »Es waren gerade mal sechs Minuten, Anna.«
»Mir kam es vor wie sechs Stunden.«
Jérôme ergriff meine Hand und wollte mich sanft mit sich ziehen.
»Halt, meine Schuhe«, sagte ich.
Er ließ meine Hand los, bückte sich und reichte sie mir.
»Jetzt aber«, sagte er, nachdem ich sie wieder angezogen hatte.
Die letzten Meter hielt Jérôme mir mit den Händen die Augen zu. Ganz langsam, Schritt für Schritt, schob er mich vorsichtig vor sich her, damit ich nicht ins Stolpern geriet.
Schließlich blieb er stehen. »Bist du so weit?«, flüsterte er mir ins Ohr und nahm die Hände von meinen Augen.
Ich schlug die Lider auf und schnappte überrascht nach Luft.
Ein kleiner bildhübscher Waldsee!
Direkt an seinem Ufer hatte Jérôme eine Decke ausgebreitet. Zwei Windlichter mit einladend flackernden Kerzen standen daneben.
Dann sah ich das Essen, das Jérôme liebevoll angerichtet hatte: eine Platte mit Käsespießen und hellen Weintrauben, eine Schüssel voller Baguettebrötchen, verschiedene Dips und eine Schale mit gebratenen Hühnerschenkeln. Teller, Becher, Besteck und Servietten lagen für uns bereit.
Ich fiel ihm um den Hals. »Kannst du zaubern? Das gibt es ja gar nicht. Woher kommt denn plötzlich dieser See? Und die ganzen Sachen … das hast du alles mit dir herumgeschleppt?«
Jérôme wirkte plötzlich verlegen. Er starrte auf seine Turnschuhe und murmelte: »Los, lass uns etwas essen, sonst wird der Sekt noch warm.«
»Wie, Sekt hast du auch dabei?« Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»Und Orangensaft, wenn dir das lieber ist?«
»Quatsch.« Ich schüttelte den Kopf. »Sekt ist perfekt.«
Als ich mich auf die Decke sinken ließ, bemerkte ich, dass eine der Taschen noch nicht ausgepackt war.
»Und was ist da noch drin?«
Jérôme schüttelte lachend den Kopf. »Du kannst es echt nicht lassen.«
»Was denn?«, fragte ich mit Unschuldsblick.
»Okay«, gab er sich geschlagen. »Darin sind Schlafsäcke. Ich habe gedacht, wir übernachten hier. Das sind die letzten warmen Nächte und heute haben wir einen unglaublichen Sternenhimmel, vielleicht sehen wir sogar ein paar Sternschnuppen.«
»Wahnsinn«, flüsterte ich, und dann konnte ich lange, lange Zeit nichts mehr sagen, weil Jérômes Lippen auf meinen mich davon abhielten.
Es ist wie im Märchen, dachte ich, nachdem wir gegessen und Jérôme und ich es uns satt und zufrieden auf der Decke gemütlich gemacht hatten.
Jérôme hatte den Arm um mich gelegt und mein Kopf ruhte auf seiner Brust. Ich genoss seine Wärme, hörte seinen Herzschlag und spürte, wie sich sein Brustkorb hob und senkte.
»So etwas Schönes hat noch nie jemand für mich gemacht«, sagte ich.
Jérôme küsste mein Haar und ich kuschelte mich noch enger
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