Solange du schläfst
hochgewachsener Mann um die fünfzig, der im Kreise einiger anderer Männer mit dem Rücken am Tresen lehnte, hob sein Glas und prostete uns mit einem breiten Lächeln quer durchs Zelt zu.
»Ach, das ist ja nett.« Meine Mutter nahm eines der Biergläser und prostete freundlich lächelnd zurück. »Dass der uns auch mal wahrnimmt, damit hätte ich überhaupt nicht mehr gerechnet.«
Kaum hatte sie den Satz zu Ende gesprochen, da begann die Band, einen entsetzlich schnulzigen Song von Marianne Rosenberg zu spielen.
Ich stöhnte. »Oh Gott, das ertrage ich nicht.«
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Denn plötzlich bemerkte ich, wie der Bürgermeister direkt auf unseren Tisch zusteuerte … gefolgt von seinem Sohn. Ich spürte, wie Jérôme sich neben mir versteifte.
»Wie schön, dass Sie zu unserem kleinen Fest gefunden haben, liebe Familie Gaudin. Michael Krause, mein Name. Ich bin der Bürgermeister von Mahlhausen. Eigentlich wollte ich Sie schon längst persönlich in unserem schönen Dorf willkommen geheißen haben. Aber die Zeit, die liebe Zeit …« Dann machte er eine kleine Verbeugung vor Claudia und forderte sie zum Tanz auf.
Claudia warf meinem Vater einen flehenden Blick zu. Doch der grinste nur schadenfroh und sagte: »Wie nett. Meine Frau tanzt für ihr Leben gern. Aber leider habe ich zwei linke Füße.«
Ich sah, wie meine Mutter ihm unter dem Tisch einen kräftigen Fußtritt verpasste, bevor sie sich erhob und mit steifen Bewegungen neben dem Bürgermeister auf die Tanzfläche ging.
»Ich gucke mal, ob es irgendwo was zu essen gibt«, sagte mein Vater und machte sich davon. Bestimmt hatte er Angst, dass gleich noch die Frau des Bürgermeisters herbeieilen und auch ihn auf die Tanzfläche zerren würde.
Konstantin war die ganze Zeit über neben unserem Tisch stehen geblieben und schaute mich erwartungsvoll an. Ich konnte es nicht fassen. Das war an Dreistigkeit einfach nicht mehr zu übertreffen – oder an Blödheit. Vielleicht befand sich in seinem Kopf ja nur eine hohle Walnuss statt eines Gehirns?
»Möchtest du tanzen?«, fragte er jetzt auch noch und hielt mir die Hand hin. Seine Stimme klang normal. Nett und völlig normal. Als ob überhaupt nichts zwischen uns vorgefallen wäre.
Na warte, dachte ich.
Ich nickte und lächelte ihn dabei zuckersüß an. »Sehr gerne«, sagte ich und stand auf. »Aber nicht mit dir, du Vollidiot!«, setzte ich hinzu.
Rasch schnappte ich mir den völlig verdattert guckenden Jérôme und zog ihn hinter mir her auf die Tanzfläche. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Konstantin sich mit wutverzerrtem Gesicht vom Tisch entfernte, zur Theke hinüberging und sich dort zu einer Gruppe Jugendlicher gesellte. Einige seiner Kumpel johlten und klopften ihm aufmunternd auf die Schulter.
»Der platzt gleich«, freute ich mich und schlang meine Arme um Jérômes Hals.
Jérôme sah nicht gerade begeistert aus. »Ob das so klug war?«
»Warum? Er hat nur die Antwort bekommen, die er verdient hat.« Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Und jetzt lass uns tanzen«, fügte ich betont heiter hinzu.
»Ich kann nicht tanzen. Und schon gar nicht zu so was hier«, erklärte Jérôme leicht genervt.
Ich verdrehte die Augen. Warum musste er immer alles so kompliziert machen?
»Na und?«, versuchte ich, ihn aus der Reserve zu locken. »Ich kann auch nicht tanzen. Die Musik ist grausam und das ganze Fest ist ein Reinfall. Aber ich bin mit dir hier, das ist das erste Mal, dass wir gemeinsam ausgehen, und du ziehst in ein paar Wochen weg. Vergiss doch die anderen und lass uns einfach tanzen, ja?«
Jérôme sah mich einen Moment nachdenklich an, dann nickte er. »Wenn es dir so wichtig ist.«
Statt einer Antwort legte ich den Kopf an seine Schulter und verschränkte die Finger in seinem Nacken. Meine Fingerspitzen strichen sanft über seine dunklen Locken. Seufzend legte Jérôme die Arme um meine Hüfte. So bewegten wir uns langsam auf der Tanzfläche hin und her. Und obwohl die Musik schrecklichwar und unsere Tanzversuche ziemlich kläglich wirken mochten, war es einfach nur schön.
»Anna«, murmelte Jérôme nach einer Weile. »Du bist das sonderbarste Mädchen, das ich je kennengelernt habe.«
»Sonderbar?« Ich lehnte mich zurück und schaute ihm in die Augen. »Du findest mich also sonderbar?«
Er lächelte verschmitzt und ich ließ meine Wange zurück an seine Brust sinken. Schließlich legte Jérôme mir die Hand unters Kinn und hob meinen Kopf an. Als
Weitere Kostenlose Bücher