Solange du schläfst
das Vergnügen, so eine Botschaft in Händen zu halten, und jetzt flippt sie deswegen total aus. Bist du nun zufrieden?!«
Ich war geschockt und für einen Moment sprachlos. Das war es also, das Jérôme die ganze Zeit über vor mir verheimlicht hatte, was ihn belastet hatte. Und worüber er nicht mit mir hatte sprechen wollen.
»Denkst du, Konstantin steckt dahinter?«, fragte ich mühsam beherrscht.
Jérôme machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, der kann mich doch mal. Hunde, die bellen, beißen nicht. Mich nervt nur, dass Ella behauptet, ich wäre selbst schuld daran, weil ich diesem Affen die Freundin ausgespannt hätte.«
Ich war völlig perplex. »Welche Freundin, ich meine, hast du?«
Jérôme schaute mich fassungslos an. »Quatsch, oder warst du vorher mit dem zusammen?«
»ICH? Wie, deine Tante meint mich? Wie kommt sie denn darauf?« Meine Stimme überschlug sich fast.
Jérôme zuckte mit den Schultern. »Ella meint, er hätte es ihr selbst gesagt.«
»Das wird ja immer schöner!« Ich schüttelte den Kopf. »Mir reicht’s. Weißt du, was, ich stelle Konstantin jetzt zur Rede. Auf der Stelle. Ich will endlich wissen, was der ganze Schwachsinn soll.«
Doch davon war Jérôme kein bisschen begeistert. »Nein, Anna, lass das lieber. Das Beste ist, wir ignorieren den. Der will sich doch nur aufspielen.«
»Aber …«
»Nichts aber«, fiel Jérôme mir jetzt mit weicherer Stimme ins Wort. Dann zog er mich in seine Arme und küsste mich. Als ich kurz über seine Schulter zum Hof schaute, sah ich gerade noch, wie seine Tante mit einem heftigen Ruck die Küchengardine zuzog.
Damit wären die Fronten wohl geklärt, dachte ich.
Den Rest des Nachmittags verbrachten wir in meinem Zimmer. Obwohl wir uns die größte Mühe gaben, so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre, blieb die Stimmung zwischen uns angespannt. Die meiste Zeit lagen wir einfach nur schweigend da, hörten Musik und hingen unseren Gedanken nach. Als Jérôme dann schließlich sagte, dass er nach Hause müsse, weil er noch lernen wolle, war ich zum ersten Mal froh darüber, dass er ging.
»Bis morgen früh an der Kreuzung«, verabschiedete er sich von mir und küsste meine Nasenspitze.
Ich lächelte und nickte.
Kaum war er um die nächste Straßenecke gebogen, zog ich meine Turnschuhe an und machte mich auf den Weg.
Ich musste mir nicht einmal die Mühe machen, bis zur pompösen Villa am Dorfrand zu laufen, in der die Krause-Sippschaft wohnte. Konstantin rannte mir schon vorher über den Weg. Und zwar mutterseelenallein.
»Sag mal«, fauchte ich ihn an. »Tickst du noch ganz richtig? Was für lächerliche Briefe sind das eigentlich, die du Jérôme in den Briefkasten schmeißt? Und warum erzählst du herum, ich wäre deine Freundin gewesen? Hast du sie noch alle?«
Konstantin zeigte sich wenig beeindruckt. Mit spöttisch verzogenem Mund stand er vor mir und blickte von oben auf mich herab.
»Ach, hat sich dein Weicheifreund bei dir ausgeheult, oder was?«
Ich ballte wütend die Hände zu Fäusten. Am liebsten hätte ich ihm eine gescheuert.
Ganz ruhig bleiben, Anna, sagte ich mir, der Typ hat es nicht verdient, dass du dich über ihn aufregst.
Schließlich holte ich tief Luft und sagte so trocken wie möglich: »Was denn nun, Weichei oder Gladiator mit Ausländerbonus? Du solltest dich langsam mal entscheiden, vor wem ich mich deiner Meinung nach fürchten muss.«
Einen Moment sagte Konstantin gar nichts, schaute mich nur mit diesem unverschämten Grinsen an. Dann kam er plötzlich ganz dicht an mich heran. »Vor mir! Du solltest dich vor mir fürchten. Und zwar so, wie du dich noch nie in deinem Leben vor etwas gefürchtet hast.«
Ich brach in Gelächter aus. So etwas Bescheuertes hatte ich schon lange nicht mehr gehört.
Doch Konstantin ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Lach ruhig. Aber du wirst schon noch sehen, wer am Ende lacht. Wer am Ende der Sieger ist.«
Damit ließ er mich stehen, und ich konnte nichts anderes tun, als fassungslos den Kopf zu schütteln.
14.
Der Oktober war für Jérôme der vorletzte Monat in Mahlhausen, und es war gleichzeitig auch der Monat, in dem im Dorf traditionell ein großes Erntedankfest gefeiert wurde. Jérôme hatte nicht einen Gedanken daran verschwendet, zu diesem Fest zu gehen, und fiel deshalb aus allen Wolken, als Anna ihn plötzlich dazu überreden wollte.
»Meine Eltern gehen hin, um hier endlich mal ein paar Leute kennenzulernen«, erklärte sie.
Jérôme
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