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Solange es hell ist

Solange es hell ist

Titel: Solange es hell ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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nicht.
    »Damit Reeves ihn untersucht?«
    »Ja. Er wird sicher wieder gesund. Danach habe ich im Cou n ty Arms zu Mittag gegessen. Ein recht anständiges kleines Lokal.« Sie wandte sich jetzt direkt an Vivien. »Warst du schon einmal da?«
    Falls sie noch Zweifel gehabt hatte, so wurde nun auch der letzte beseitigt. Viviens Antwort kam prompt – in stammelnder Hast.
    »Ich? Oh! N-nein, nein.«
    In ihren Augen lag Furcht. Sie waren groß und dunkel vor Angst, als sie Clares Blick begegneten. Clares Augen verrieten nichts. Sie waren ruhig, forschend. Niemand hätte sich träumen lassen, welch intensives Hochgefühl sich hinter ihnen verbarg. In diesem Moment verzieh Clare Vivien beinahe die Worte, die sie bei ihrer Ankunft mit angehört hatte. Sie wurde in diesem Moment von einem solchen Gefühl der Macht erfasst, dass ihr beinahe schwindelig geworden wäre. Sie hatte Vivien Lee völlig in ihrer Gewalt.
    Am Tag darauf erhielt sie von der anderen einen Brief. Ob Clare Lust hätte, am Nachmittag zum Tee zu kommen, nur sie beide? Clare lehnte ab.
    Dann sprach Vivien persönlich vor. Zweimal kam sie zu einer Zeit, zu der Clare eigentlich zuhause sein musste. Beim ersten Mal war Clare tatsächlich ausgegangen; beim zweiten Mal schlüpfte sie durch die Hintertür hinaus, als sie Vivien den Weg heraufkommen sah.
    »Sie ist sich noch nicht sicher, ob ich Bescheid weiß oder nicht«, sagte sie bei sich. »Sie will sich Klarheit verschaffen, ohne sich zu kompromittieren. Aber das wird ihr nicht gelingen – nicht bevor ich dazu bereit bin.«
    Clare wusste selbst nicht genau, worauf sie wartete. Sie hatte beschlossen, Stillschweigen zu bewahren – das war der einzige anständige und ehrenhafte Weg. Ganz besonders tugendhaft fühlte sie sich, wenn sie an die ungeheuerliche Provokation dachte, die ihr zuteil geworden war. Nachdem sie zufällig mit angehört hatte, wie Vivien hinter ihrem Rücken von ihr sprach, hätte ein weniger charakterfester Mensch, wie sie fand, seine guten Vorsätze wohl aufgegeben.
    Am Sonntag ging sie zweimal in die Kirche. Zuerst in den Frühgottesdienst, den sie gestärkt und innerlich erbaut verließ. Persönliche Gefühle sollten bei ihr kein Gewicht haben – nichts Gemeines oder Kleinliches sie leiten. Später besuchte sie auch die Morgenmesse. Mr Wilmot predigte über das berühmte Gebet des Pharisäers. Er schilderte das Leben dieses Mannes, eines guten Mannes, einer Säule der Kirche. Und er beschrieb den langsamen, schleichenden Gifthauch des geistigen Hochmuts, der alles, was dieser Mann war, entstellte und besudelte.
    Clare hörte nicht sehr aufmerksam zu. Vivien saß in der großen viereckigen Kirchenbank der Familie Lee, und Clare wusste instinktiv, dass die andere entschlossen war, sie nach der Messe zu fassen zu bekommen.
    Und so war es auch. Vivien schloss sich Clare an, begleitete sie nachhause und fragte, ob sie hereinkommen dürfe. Clare sagte selbstverständlich ja. Sie setzten sich in Clares kleines Wohnzimmer mit den bunten Blumen und den altmodischen Chintzmöbeln. Vivien sprach zusammenhanglos und abgehackt.
    »Ich war letztes Wochenende übrigens in Bournemouth«, sagte sie unvermittelt.
    »Gerald hatte es erwähnt«, sagte Clare.
    Sie sahen sich an. Vivien wirkte heute geradezu unattraktiv. Ihr Gesicht hatte etwas Scharfes, Verschlagenes, das ihm einen Großteil seines Reizes nahm.
    »Als du in Skippington warst…«, begann Vivien.
    »Als ich in Skippington war?«, wiederholte Clare.
    »Du hast von einem kleinen Hotel dort gesprochen.«
    »Das County Arms. Ja. Du sagtest, dass du es nicht kennst.«
    »Ich – ich war schon einmal da.«
    »Ach!«
    Sie brauchte nur still zu sein und abzuwarten. Vivien war absolut unfähig, irgendeiner Belastung standzuhalten. Schon jetzt begann sie, darunter zusammenzubrechen. Plötzlich beugte sie sich vor und sagte hitzig:
    »Du magst mich nicht. Du hast mich nie gemocht. Du hast mich immer gehasst. Es macht dir Spaß, jetzt Katz und Maus mit mir zu spielen. Du bist grausam – ja, grausam. Und darum habe ich Angst vor dir, weil du im Grunde deiner Seele grausam bist.«
    »Wirklich, Vivien!«, sagte Clare scharf.
    »Du weißt es, habe ich Recht? Ich sehe genau, dass du Bescheid weißt. Du hast es schon an dem Abend gewusst – als du Skippington erwähnt hast. Du bist irgendwie dahintergekommen. Nun, ich will wissen, was du diesbezüglich zu tun gedenkst. Was genau gedenkst du zu tun?«
    Clare gab geraume Zeit keine Antwort, sodass Vivien

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