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Solange es hell ist

Solange es hell ist

Titel: Solange es hell ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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blaue Meer. Sie musste sich mit dieser Sache auseinandersetzen. Wie sollte sie sich verhalten?
    Sie dachte mit einem gewissen Abscheu an Vivien. Wie sie zusammengebrochen war, wie kläglich sie kapituliert hatte! Clare fühlte Verachtung in sich aufsteigen. Das Mädchen hatte keinen Mumm – kein Rückgrat!
    Dennoch, und trotz ihrer Abneigung gegen Vivien, beschloss Clare, sie vorläufig weiter zu schonen. Als sie nachhause kam, schrieb sie ihr einige Zeilen, um ihr mitzuteilen, dass sie, obgleich sie für die Zukunft nichts Definitives versprechen könne, beschlossen habe, einstweilen Stillschweigen zu bewahren.
    In Daymer’s End ging das Leben seinen gewohnten Gang. Allerdings bemerkte man im Ort, dass Lady Lee alles andere als gesund aussah. Clare Halliwell dagegen blühte auf. Ihre Augen waren strahlender, sie trug den Kopf höher, und sie trat selbstbewusster und sicherer auf. Sie und Lady Lee trafen sich häufig, und dabei fiel allgemein auf, dass die jüngere Frau mit schmeichelhafter Aufmerksamkeit an den Lippen der älteren hing.
    Gelegentlich machte Miss Halliwell eine Bemerkung, die etwas dunkel schien – wenig Bezug zu dem momentanen Gesprächsthema hatte. So konnte es passieren, dass sie plötzlich sagte, sie habe in letzter Zeit in vielen Dingen ihre Meinung geändert – dass es seltsam sei, wie sehr eine Kleinigkeit den eigenen Standpunkt verändern könne. Man sei viel zu sehr geneigt, Mitleid walten zu lassen, was aber völlig falsch sei.
    Wenn sie derartige Dinge sagte, pflegte sie Lady Lee eigentümlich anzusehen, und diese wurde plötzlich ganz blass und wirkte fast verängstigt.
    Mit der Zeit fielen diese kleinen Spitzfindigkeiten weniger auf. Clare fuhr zwar fort, derartige Bemerkungen zu machen, aber sie schienen Lady Lee weniger zu berühren. Sie begann ihr Aussehen und ihren Elan wiederzuerlangen. Ihre alte fröhliche Art kehrte zurück.
     
    Als Clare eines Morgens ihren Hund ausführte, begegnete sie unterwegs Gerald. Dessen Spaniel verbrüderte sich mit Rover, während sein Herrchen sich mit Clare unterhielt.
    »Schon das Neueste gehört?«, erkundigte er sich lebhaft. »Vivien hat es dir sicher erzählt.«
    »Was denn? Vivien hat nichts Besonderes erwähnt.«
    »Wir gehen für ein Jahr ins Ausland – vielleicht auch für länger. Vivien hat das Haus hier satt. Du weißt ja, dass sie sich nie etwas daraus gemacht hat.« Er seufzte, wirkte einen Moment lang niedergeschlagen. Gerald Lee war sehr stolz auf seinen Landsitz. »Jedenfalls habe ich ihr eine Abwechslung versprochen. Ich habe eine Villa in der Nähe von Algier gemietet. Es soll da sehr schön sein, wie man hört.« Er lachte leicht verlegen. »Eine Art zweite Flitterwochen, was?«
    Clare war zunächst unfähig, ein Wort herauszubringen. Etwas schien in ihr hochzusteigen und sie zu ersticken. Sie sah die weißen Mauern der Villa vor sich, die Orangenbäume, roch die liebliche parfümierte Luft des Südens. Zweite Flitterwochen! Sie wollten sich aus dem Staub machen. Vivien glaubte ihren Drohungen nicht mehr. Sie wollte weg, wollte unbekümmert, fröhlich, glücklich sein.
    Clare hörte ihre eigene Stimme, etwas rauer als sonst, die passenden Worte sagen. Wie schön! Wie sie die beiden beneidete!
    Glücklicherweise beschlossen Rover und der Spaniel genau in diesem Moment, sich nicht länger zu vertragen. Die darauffolgende Balgerei machte eine weitere Unterhaltung unmöglich.
    Am Nachmittag setzte sich Clare hin und schrieb Vivien einen kurzen Brief. Sie bat sie, sich am nächsten Tag mit ihr auf dem Steilweg zu treffen, da sie ihr etwas sehr Wichtiges mitzuteilen habe.
     
    Der Morgen darauf war heiter und wolkenlos. Clare ging den steilen Pfad hinauf, und ihr war leicht ums Herz. Was für ein herrlicher Tag! Sie war froh, dass sie sich entschlossen hatte, das, was gesagt werden musste, im Freien zu sagen, anstatt in ihrem stickigen kleinen Wohnzimmer. Es tat ihr zwar leid wegen Vivien, aber es musste sein.
    Weiter oben neben dem Pfad sah sie einen gelben Fleck, ähnlich einer gelben Blume. Als sie näher kam, verwandelte er sich in Vivien, die in einem gelben Strickkleid im kurzen Gras saß, die Arme um die Knie geschlungen.
    »Guten Morgen«, sagte Clare. »Ist das nicht ein herrlicher Tag?«
    »Tatsächlich?«, sagte Vivien. »Darauf hatte ich gar nicht geachtet. Was wolltest du mir sagen?«
    Clare ließ sich neben ihr ins Gras fallen.
    »Ich bin ganz außer Atem«, sagte sie entschuldigend. »Es ist ziemlich steil hier

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