Solange es hell ist
aufsprang.
»Was gedenkst du zu tun? Ich muss es wissen. Oder willst du etwa abstreiten, dass du Bescheid weißt?«
»Ich habe nicht die Absicht, irgendetwas abzustreiten«, sagte Clare kalt.
»Hast du mich an dem Tag dort gesehen?«
»Nein. Ich sah deine Handschrift im Gästebuch – Mr und Mrs Cyril Brown.«
Vivien wurde dunkelrot.
»Inzwischen«, fuhr Clare ruhig fort, »habe ich Erkundigungen eingezogen. Ich stellte fest, dass du an dem besagten Wochenende nicht in Bournemouth warst. Deine Mutter hatte gar nicht nach dir geschickt. Genau das Gleiche geschah etwa sechs Wochen davor.«
Vivien ließ sich wieder auf das Sofa sinken. Sie brach in heftiges Weinen aus, das Weinen eines verängstigten Kindes.
»Was willst du tun?«, stieß sie hervor. »Willst du es Gerald sagen?«
»Das weiß ich noch nicht«, sagte Clare.
Sie war ganz ruhig, fühlte sich allmächtig.
Vivien setzte sich auf und strich sich die roten Locken aus der Stirn.
»Soll ich dir alles erzählen?«
»Das wäre vielleicht durchaus angebracht.«
Vivien breitete die ganze Geschichte vor ihr aus. Sie war rückhaltlos offen. Cyril »Brown« war Cyril Haviland, ein junger Ingenieur, mit dem sie zuvor verlobt gewesen war. Er wurde krank und verlor seine Stellung, woraufhin er, ohne lange zu fackeln, der mittellosen Vivien den Laufpass gab und eine reiche Witwe heiratete, die sehr viel älter war als er. Bald darauf heiratete Vivien dann Gerald Lee.
Sie hatte Cyril rein zufällig wiedergetroffen. Auf diese erste Begegnung folgten viele weitere. Cyril hatte inzwischen, mithilfe des Geldes seiner Frau, Karriere gemacht und war im Begriff, eine bekannte Persönlichkeit zu werden. Es war eine schmutzige Geschichte, eine Geschichte von heimlichen Treffen, endlosen Lügen und Täuschungen.
»Ich liebe ihn so sehr«, wiederholte Vivien immer wieder mit einem Stöhnen, und jedes Mal bereiteten die Worte Clare körperliche Übelkeit.
Endlich fand das gestammelte Geständnis ein Ende. Vivien murmelte verzagt: »Und jetzt?«
»Was ich jetzt tun werde?«, fragte Clare. »Das kann ich dir nicht sagen. Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken.«
»Du wirst Gerald doch nichts verraten?«
»Vielleicht ist es meine Pflicht, ihn zu unterrichten.«
»Nein, nein!« Viviens Stimme erhob sich zu einem hysterischen Kreischen. »Er wird sich von mir scheiden lassen. Er wird mich mit keinem Wort anhören. Er wird sich im Hotel erkundigen, und dann wird Cyril hineingezogen. Und dann wird sich seine Frau von ihm scheiden lassen. Alles wird zerstört sein – seine Karriere, seine Gesundheit. Er wird wieder ohne einen Penny dastehen. Das würde er mir nie verzeihen – niemals!«
»Verzeih, wenn ich das sage«, sagte Clare, »aber ich halte nicht viel von deinem Cyril.«
Vivien hörte ihr nicht zu.
»Ich sage dir, er wird mich hassen – mich hassen! Und das ertrage ich nicht. Sag Gerald nichts! Ich tue alles, was du willst, aber sag Gerald nichts.«
»Ich brauche Zeit, um es mir zu überlegen«, sagte Clare ernst. »Auf Anhieb kann ich nichts versprechen. In der Zwischenzeit darfst du dich nicht mehr mit Cyril treffen.«
»Nein, nein, ganz bestimmt nicht. Ich schwöre es.«
»Wenn ich weiß, was das Richtige ist«, sagte Clare, »lasse ich es dich wissen.«
Sie stand auf. Vivien schlich sich geradezu verstohlen aus dem Haus und blickte mehrmals über die Schulter zurück.
Clare rümpfte angewidert die Nase. Eine abscheuliche Geschichte. Würde Vivien ihr Versprechen, Cyril nicht wiederzusehen, halten? Wahrscheinlich nicht. Sie war schwach – durch und durch korrupt.
Nachmittags machte Clare einen langen Spaziergang. Es gab einen Pfad, der durch das grasbedeckte Hügelland längs der Küste führte. Zur Linken fiel das Gelände sanft zum Meer hinunter ab, während der Pfad sich stetig nach oben schlängelte. In der Gegend war er als »der Steilweg« bekannt. Obwohl auf dem Pfad selbst keine Gefahr bestand, war es durchaus riskant, ihn zu verlassen. Die heimtückischen sanften Hänge konnten gefährlich sein. Clare hatte hier einmal einen Hund verloren. Das Tier war über das glatte Gras gerannt, hatte zu viel Tempo bekommen, hatte nicht mehr anhalten können und war über den Rand der Steilküste gestürzt und drunten auf den scharfen Felsen zerschmettert worden.
Der Nachmittag war klar und heiter. Von tief unten drang das Rauschen des Meeres wie ein beruhigendes Gemurmel herauf. Clare setzte sich in das kurze grüne Gras und blickte hinaus aufs
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