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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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ungeputzten Fenster nur noch dunkleren Wohnung umschaute, sah er überall sich selbst widergespiegelt, den schlimmsten, fettesten Teil seiner Selbst, jemanden, der nicht fähig war, einen vernünftigen Plan in die Tat umzusetzen. In jedem erdenklichen Moment gab es etwas, das er lieber tat - lesen, trinken, essen, telefonieren, im Internet surfen -, als einen Elektriker oder Klempner oder eine Reinigungsfirma anzurufen oder die meterhohen Papierstapel zu sortieren oder einen der Briefe von Tom Aldous' Vater zu beantworten. Ebendiese Trägheit hatte Beard gezwungen, immer wieder noch ein Jahr am Dorset Square zu bleiben, bis er die Bruchbude schließlich aus ebendieser Faulheit heraus dem Vermieter abgekauft hatte.
    Wenn er es nicht mehr aushielt - mit sich selbst, der Wohnung, sich selbst in der Wohnung -, flüchtete er nach Nordwesten in die Arme seiner Geliebten und ihrer gemeinsamen Tochter. In Primrose Hill erwarteten ihn gewaschene und gebügelte Kleider, eine funktionierende Dusche, eine Mahlzeit und zwei Mädchen, die ihm abwechselnd ihre Neuigkeiten erzählten, ihn gutmütig wegen seiner Leibesfülle neckten - das sich ausdehnende Universum hatte Melissa ihn getauft - und von den Abenteuern in der amerikanischen Wüste hören wollten, die er bei seinem Unternehmen, die Menschheit vor der Selbstvernichtung zu retten, erlebt hatte. Wenn er Catriona im Bett etwas vorlas, war sie so beeindruckt, so fasziniert von der Tatsache, dass nicht ihre Mutter, sondern ihr Vater bei ihr saß, dass sie vor Ehrfurcht kaum zuhören konnte, während sie, die Decke bis unters Kinn gezogen, wie gebannt auf dem Rücken lag. Gegen ihre Müdigkeit ankämpfend, blickte sie wunschlos glücklich zu der massigen Gestalt ihres Vaters auf, die sich über das winzige Beatrix-Potter-Büchlein in seinen Händen beugte. Er gehörte ihr ganz allein. Im Moment waren das die einzigen Geschichten, die sie hören wollte, doch Beard machte sich nichts aus Potters Gegenwelten, in denen Igel mit Bügelbrettern und Kaninchen in Kniehosen herumwuselten, er hatte selbst Mühe, wach zu bleiben, ja manchmal sank ihm mitten im Satz der Kopf nach vorn, bevor er abrupt wieder zu sich kam und mit unbeteiligter Stimme die Geschichte zu Ende brachte - zum Beispiel vom Diebstahl einer Karotte.
    Da lag er nun in seinem texanischen Hotelzimmer auf dem Rücken, den Palmtop noch in der Hand, durstig, aber zu müde, nach einer Flasche Wasser zu suchen. Die vielen Meilen im Flieger, die vielen Whiskys und die vierundzwanzig Stunden ohne Schlaf drückten ihn tief in die Kissen des amerikagroßen Betts. Seinen Rücken und die Beine durchlief noch ein Zucken, gleichsam der Nachhall des langen Ritts auf den Wogen der Stratosphäre mit dreiviertel Schallgeschwindigkeit. In diesem Zustand verspürte er nicht das kleinste bisschen Verlangen, dennoch dachte er an Melissa. Wie war der Stand der Dinge? Gewöhnlich hatten sie nach der Gutenachtgeschichte endlich Zeit füreinander. Endlich? Von der brennenden Ungeduld und Dringlichkeit früherer Tage konnte heute keine Rede mehr sein, und das war ihm recht, so konnte er sich aufs Essen und Melissas Neuigkeiten konzentrieren. Die Umsätze ihrer Tanzshops waren im Keller, die Rezession nahm den Leuten die Lust am Tanzen. Als kluge Geschäftsfrau hielt sie ihre drei Läden am Leben, indem sie die Angebotspalette und die Öffnungszeiten reduzierte, aber keine Angestellten entließ. Bei den kleinen Ballettratten war mittlerweile Schwarz in Mode, und angegraute Herren tanzten nicht mehr scharenweise Tango, dafür kamen jetzt ihre Frauen und kauften Cowboyhüte für Line-Dancing, das ebenso altmodisch wie der letzte Schrei war. Einen weiteren unerwarteten Nachfrageschub brachten die Tanzwettbewerbe im Reality -TV.
    Ihre Gespräche taten ihm wohl, zumal in der Hektik der vergangenen Wochen, als er wegen der bevorstehenden Inbetriebnahme der Lordsburger Anlage unter Strom stand. Wenn sie so plauderte und er sie dabei ansah, schien es ihm, als sei sie mit ihren üppigen Formen so schön wie eh und je und glücklicher als je zuvor. Mutter sein fiel ihr nicht schwer. Ihr Verhältnis zu Catriona war herzlich und unverkrampft, sie war weder zu vernarrt in sie noch zu besitzergreifend, wie es hätte der Fall sein können bei einer Frau, die ihr einziges Kind drei Monate nach ihrem vierzigsten Geburtstag zur Welt brachte. Ihr Glück übertraf alles, was er in seinem eigenen Leben je erfahren hatte, und er nahm an, ebendies habe sie ein wenig von

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