Solar
möglich.«
»Du bist nicht überzeugt. Nehmen wir den ungünstigsten Fall. Gehen wir vom fast Unmöglichen aus - die tausend irren sich, der eine hat recht, die Daten erweisen sich als verkehrt, es gibt keine Erwärmung. Die Wissenschaftler unterliegen einem Massenwahn, das Ganze ist eine Verschwörung. Dann haben wir immer noch die alten Argumente: Energiesicherheit, Luftverschmutzung, Ölknappheit.«
»Kein Mensch kauft uns ein einziges verflixtes Paneel ab, bloß weil es in dreißig Jahren kein Öl mehr gibt.«
»Was hast du eigentlich? Ärger zu Hause?«
»Nein, nein. Nur dass ich mich so abrackere, und dann treten irgendwelche Typen in weißen Kitteln im Fernsehen auf und behaupten, der Planet wird gar nicht wärmer. Das macht mich nervös.«
Beard legte seinem Freund eine Hand auf den Arm, ein sicheres Zeichen, dass er zu viel getrunken hatte. »Toby, glaub mir. Es ist eine Katastrophe. Entspann dich!«
Um halb zehn waren die beiden vom Reisen erschöpften Männer reif fürs Bett und stiegen gemeinsam in den Aufzug. Beards Etage kam zuerst. Er wünschte Hammer eine gute Nacht und machte sich mit seinem Gepäck auf den Weg, der ihn durch viele lange Korridore und um manche Ecke führte. Damit er dabei seine Zimmernummer nicht vergaß, murmelte er sie unablässig vor sich hin. Gelegentlich machte er halt, um schwankend Hinweistafeln mit Beschriftungen wie »309-331« anzublinzeln - von seiner 399 keine Spur. Also ging er weiter, bis er unvermutet wieder beim Aufzug ankam, falls es nicht ein anderer war, obwohl auch hier ein brauner Apfelbutzen in einem mit Sand gefüllten Aschenbecher lag. Er fühlte sich immer mehr als Opfer, machte sich noch einmal auf den Weg, nur um am Ende wieder bei dem Aufzug zu landen. Irgendwann während der dritten Runde ging ihm auf, dass er die Zimmerkarte verkehrt herum hielt, dass sein Ziel, die 663, auf einer anderen Etage war. Er fuhr nach oben, fand das Zimmer, ließ sein Gepäck, kaum zur Tür herein, fallen und stürzte sich auf die Minibar. Er nahm einen Brandy heraus und einen überdimensionalen Schokoriegel und ließ sich damit auf die Bettkante plumpsen.
Zum Glück war es viel zu spät, um Melissa anzurufen, und zu früh für Darlene, die jetzt noch arbeitete. Seine Kräfte reichten gerade noch für die Fernbedienung. Bevor der Fernseher ansprang, gab er ein gedämpftes Knistern warmlaufender Elektronik von sich, so anheimelnd und vertraut wie der Kuss einer Mutter. Nicht seiner Mutter. Müde und betrunken, wie er war, konnte er nur noch zappen. Und sah die üblichen, unspektakulären Sachen - Gameshows und Talkshows, Tennis, Zeichentrickfilme, die Sitzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission, schwachsinnige Werbespots. Zwei Frauen, denen er in diesem Augenblick sein Leben anvertraut hätte, tauschten sich über ihre an Alzheimer erkrankten Männer aus. Ein junges Paar warf sich einen beredten Blick zu und erntete einen Lacher vom Studiopublikum. Jemand beteuerte theatralisch, Präsident Obama sei immer noch ein allseits verehrter Heiliger. Beard betonte neuerdings, er sei seit eh und je ein Anhänger der Demokraten. Bei Veranstaltungen zum Klimawandel sprach er häufig von dem verhängnisvollen Moment im Jahr 2000, als das Schicksal der Erde auf Messers Schneide stand und Bush seinem Konkurrenten Gore den Sieg entriss, um dann tragische acht Jahre Nichtstun zu verantworten. Beard regte sich schon seit langem nicht mehr auf über die Auswüchse und Seltsamkeiten Amerikas, die das Fernsehen widerspiegelte. Selbst in Rumänien gab es inzwischen Hunderte Kanäle, und überall anders auch. Man gewöhnte sich an alles, wenn es im Fernsehen kam. Er war zu müde, den Daumen von der Fernbedienung zu nehmen, und blieb vierzig Minuten lang in dumpfer Benommenheit so sitzen, das leere Glas in der Hand und das Einwickelpapier auf dem Schoß, ehe er es sich auf den Kissen hinter ihm bequem machte und in Schlaf versank.
Neunzig Minuten später wurde er vom Klingeln seines Palmtop aufgeschreckt und kam vollständig zu sich, als er, das Ding ans Ohr gedrückt, die Stimme jenes Mädchens hörte, dessen Existenz er nach Kräften zu verhindern versucht hatte. Hier war sie, Catriona Beard; sie ließ sich ebenso wenig aus dem Verkehr ziehen wie ein verbotenes Buch.
»Daddy«, sagte sie ernst. »Was machst du grade?«
In England war es Sonntag, sechs Uhr morgens. Offenbar von der aufgehenden Sonne geweckt, war sie aus dem Bett zum Telefon im Wohnzimmer gelaufen und hatte
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