Solar
Tag genau fünf Monate nach Tom Aldous' Tod, wurde der Prozess gegen Rodney Tarpin eröffnet.
Tarpin hatte keine Chance, das wusste er offenbar selbst. Der Staatsanwalt trug fast schon bekümmert den Sachverhalt vor: Tarpins glasklares Motiv, die telefonischen und schriftlichen Drohungen, die erwiesene Gewaltbereitschaft, seine Haare an der Mordwaffe, die in den Lorbeerbüschen gefunden wurde, seine Haare zwischen den Fingern des Toten, das Papiertaschentuch mit seinem getrockneten Nasenschleim und Aldous' Blut, das Fehlen eines Alibis. Als Beard an die Reihe kam, sprach er strikt zur Sache. Schließlich war er ein gesetzestreuer Bürger. Er schilderte ausführlich, wie er den fraglichen Vormittag verbracht hatte, erwähnte das blaue Auge seiner Frau, seinen Besuch bei dem Angeklagten und den Schlag ins Gesicht, den er erhalten hatte. Tarpins Lage war ohnedies ziemlich aussichtslos, doch Patrice, die ebenfalls von der Anklage aufgerufen wurde, blieb es vorbehalten, ihm den Gnadenstoß zu versetzen. Die Presse beschrieb sie als einen Todesengel im Zeugenstand - starr vor Verachtung für den Mann, der ihren Geliebten auf dem Gewissen hatte. Als Zeuge durfte Beard während ihrer Aussage nicht im Gerichtssaal sein und konnte nur die Zeitungsberichte lesen. Er selbst hatte sie nie so überzeugend, so klar und wirkungsvoll reden hören. Richter und Landsleute folgten gebannt ihrer Schilderung von Tarpins Besitzgier und Brutalität und seiner rasenden Eifersucht. Er sei ein Besessener, sagte sie, weltfremd und geistesgestört, der sie gedrängt habe, Aldous im Schlaf umzubringen, falls sich einmal die Gelegenheit dazu ergeben sollte. Er habe sie einfach nicht gehen lassen wollen, und was für sie als eine kurze, harmlose Affäre begann, habe sich zu einem monatelangen Alptraum entwickelt. Aus Angst vor seiner Gewalttätigkeit habe sie nicht gewagt, ihm Sex zu verweigern. Sogar im Bett habe er sie geschlagen.
»Und das macht Ihnen keinen Spaß, Mrs Beard?«, wurde sie im Kreuzverhör von Tarpins adrettem Verteidiger gefragt.
»Nein«, antwortete sie knapp. »Ihnen?« Gelächter von den Zuschauerbänken.
Ihre am häufigsten zitierte, berühmteste Bemerkung musste sie vor dem Spiegel eingeübt haben. »Als er meinen Tommy umbrachte, hat die Nation ein Genie verloren«, sagte sie. »Und ich habe den einzigen Mann verloren, den ich jemals geliebt habe.«
Die Geschworenen berieten nur drei Stunden lang, und niemanden, nicht einmal Tarpin, konnte deren Schiedsspruch überraschen.
In der Woche, die zwischen der Entscheidung der Geschworenen und dem Urteilsspruch des Richters verging, nahm Beard sich noch einmal Aldous' Akte vor. Es war das Mindeste, was er zum Gedenken an den Toten tun konnte, außerdem war er aufgewühlt und brauchte Ablenkung. Beim zweiten Mal verstand er schon mehr, begann er sich für die Sache zu interessieren, ja zu begeistern. Aldous hatte sich die Aufgabe gestellt, das von Pflanzen im Lauf von drei Milliarden Jahren Evolution perfektionierte Verfahren zu entschlüsseln und dann nachzuahmen. Durch Anwendung von Methoden und Materialien, die bisher nur in der Nanotechnologie gebräuchlich waren, sollte unter direkter Nutzung der Energie des Sonnenlichts Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten werden, wobei anstelle von Chlorophyll spezielle lichtempfindliche Farbstoffe und mangan- und kalziumhaltige Katalysatoren zum Einsatz kommen sollten. Die gespeicherten Gase würden dann in einer Brennstoffzelle Strom erzeugen. Ebenfalls den Pflanzen abgeschaut war die Idee, aus dem in der Atmosphäre enthaltenen Kohlendioxid mit Sonnenlicht und Wasser einen flüssigen Allzwecktreibstoff herzustellen. Ob das genial oder schwachsinnig war, konnte er noch nicht sagen. Er machte sich selbst ein paar Notizen, datierte sie ein Jahr zurück und legte erst einmal eine Pause ein, denn am nächsten Tag, einem Dienstag, trat das Gericht zur Urteilsverkündung zusammen. Tarpin hörte dem Richter mit der gleichen gespannten Geistesabwesenheit zu, mit der er bereits das ganze Verfahren verfolgt und allzu schwach seine Unschuld beteuert hatte. Den Presseberichten zufolge blickte er ständig in die Richtung von Patrice (Beard sah seinen neugierigen Nagetierblick vor sich), während sie beharrlich woandershin schaute.
Auf den Stufen des Gerichtsgebäudes erklärte sie vor Reportern und laufenden Fernsehkameras, in Anbetracht des Unheils, das er angerichtet habe, sei die Strafe viel zu gering. In den folgenden Tagen
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