Solar
Option auf hundertsechzig Hektar Bauland, ein sandiges Fleckchen mitten in der glutheißen Strauchwüste im Südwesten von New Mexico. Sowie die Investoren angebissen hatten, die Gelder flossen und die Steuervergünstigungen geregelt waren, konnte mit dem Bau eines maßstabsgetreu vergrößerten Prototyps begonnen werden. Beim Gedanken daran wurde ihm schwindlig vor Ungeduld.
Nachdem er sich zehn Minuten lang abgehetzt hatte, steckte Beard außer Atem und in seinem Mantel völlig verschwitzt vor der Passkontrolle in einer mächtigen Schlange fest, zehn Mann breit und Hunderte lang, die sich im Schneckentempo vorwärtsbewegte, und wartete inmitten anderer Bittsteller darauf, Einlass in sein Heimatland gewährt zu bekommen. Zäh verflossen die Minuten, er spürte förmlich, wie er den Verstand verlor. Ein Bild erschien in seinem Kopf: eine kostbare Flüssigkeit - Blut, Milch, Wein -, die aus einem Tank auslief. Hatte er nicht Anspruch auf Sonderbehandlung? Dieser Gedanke drängte sich ihm immer wieder auf. Irgendjemand müsste ihn doch nach vorne winken, am gemeinen Volk vorbei, ihm die Formalitäten erlassen, ihn zu einer Limousine führen. Wusste denn hier niemand, wer er war? War er etwa kein vip ? Doch, das war er, genau wie alle anderen. In solchen Situationen ließ sein Menschenhass ihn besonders gereizt auf die Leute reagieren, die sich um ihn drängten, die er nicht mehr als Mitreisende sah, sondern als Widersacher, als Konkurrenten im Wettschleichen. Er konnte nicht anders, er hielt tatsächlich nach einem dieser Betrüger Ausschau, die still und heimlich am Rand des Blickfelds vorrücken, um sich mit einem hinterhältigen Schulterschubser weiter vorne einzureihen. Rücksichtslose Zeitdiebe.
Er hatte die Stelle wenige Meter vor der Passkontrolle erreicht, wo sich die zehn improvisierten Schlangen zu dreien formierten. Und da war er auch schon, ein hagerer, verkniffen dreinblickender Mensch im Lodenmantel (diese Mode hatte Beard noch nie ausstehen können), der sich von links in die Reihe zwängte und nicht nur seine Körpergröße, sondern auch seine übergroße Aktentasche, die er in Kniehöhe wie einen Keil vor sich hertrieb, zum Einsatz brachte, um sich noch weiter vorzudrängeln. Außer sich vor rechtschaffener Empörung, versperrte Beard ihm mit einem abrupten Schritt nach vorn den Weg und bekam dafür die Aktentasche in die Kniekehle geknallt. Beard fuhr herum, nahm Blickkontakt auf und sagte höflich, auch wenn sein Herz dabei ein wenig lauter schlug: »Tut mir schrecklich leid.«
Ein Tadel, schlecht getarnt als Entschuldigung; Manieren heucheln einem Mann gegenüber, den er in diesem Moment am liebsten umgebracht hätte. Schön, wieder in England zu sein.
Dann aber sah er genauer hin und erkannte: Der Drängier war ein uralter Mann. Mindestens fünfundachtzig, braune Altersflecken von der pergamentenen Stirn bis zum runzligen Hals, ein leerer Blick, die hängende Unterlippe zitternd und feucht. Natürlich musste man die Greise vorlassen. Sie hatten nicht mehr viel Zeit. Sie waren schon so gut wie tot. Sie hatten größere Eile als er, und Nachsicht, ja sogar eine Entschuldigung, war durchaus angebracht. Aber der Mann war schon fort, hatte sich nach hinten verzogen, außer Sichtweite, blamiert. Zu spät, ihm den Vortritt zu lassen.
Und so geschah es, dass Beard, herzlose Geißel der Gebrechlichen, ernüchtert und ein wenig zerknirscht vor eine Beamtin trat und sich kaum noch darüber wunderte, dass sein Passfoto oder seine Größe, sein Geburtsdatum oder seine Verwandtschaft Anlass für Misstrauen und fachkundiges Stirnrunzeln boten. Die Beamtin durchblätterte seinen Pass, musterte Beard, blätterte zurück, überlegte kurz und schob das Dokument mit der Bildseite nach unten auf einen Scanner. Sie war Ende zwanzig, möglicherweise weniger als halb so alt wie er. Herkunftsland der Eltern vermutlich Äthiopien. Wenn sie vom Hocker glitte, aus dem Schalter hervorkäme und ihre Stöckelschuhe auszöge, wäre sie immer noch fünfzehn Zentimeter größer als er.
Er war korpulent, schwerfällig, krebsrot im Gesicht - und viel zu spät dran. Sie hingegen widmete sich voll und ganz ihrer Aufgabe: ihre Nation vor der Einreise unerwünschter Personen zu schützen. Er beobachtete, wie sie seine Personalien auf dem Bildschirm las, wie ihre rechte Hand, deren Außenkante leicht violett schimmerte, unbekümmert über die Tastatur flatterte, auf der Suche nach weiteren Erkenntnissen, tieferen Einsichten über
Weitere Kostenlose Bücher