Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
Vom Netzwerk:
den Namen dieser Kleinstadt sah, hob sich seine Stimmung. Dort wäre er jetzt gern, am nördlichen Ortsausgang, vor sich in der unermesslichen Weite, irgendwo an der schnurgeraden Straße nach Silver City, die Stelle, wo sie demnächst zu bauen anfangen würden. Das Holiday Inn in Lordsburg bestätigte seine Buchung für den nächsten Monat: dasselbe Zimmer wie immer, mit einer Ermäßigung für den treuen Gast. Zum dritten Mal in diesem Monat eine Nachricht von Jock Braby, der ihn treffen wollte. Der hatte garantiert die Gerüchte von den guten Testergebnissen am Imperial College gehört und wollte ein Stück vom Kuchen abhaben. Ziemlich dreist von einem Mann, der für Beards Rausschmiss aus dem Institut gesorgt hatte. Ein Nachtrag von Toby Hammer. Er habe einen billigen Lieferanten für Eisenspäne gefunden. Eine einzige private Mitteilung: Vergiss nicht das Essen um 8. Der Hauptgang bist Du. Ich liebe Dich, Melissa.
    Ich liebe Dich. Wie oft hatte sie das geschrieben und ausgesprochen, und nie hatte er es erwidert, nicht einmal in Augenblicken äußerster Hingabe. Und nicht, weil er sie nicht zu lieben glaubte. Was das betraf, war er sich nie ganz sicher. Sondern weil er vor langer Zeit gelernt hatte, niemals Liebeserklärungen zu machen. Bei Melissa graute ihm vor der Frage, die auf diese drei Worte mit ihrer teuflischen Eigendynamik folgen musste: Würde er sich für den Rest seines Lebens auf sie festlegen und ein Kind mit ihr zeugen? Sie sehnte sich nach einem Baby, das ihr bis jetzt versagt geblieben war. Aber seine ganze Vorgeschichte legte Zeugnis davon ab, dass er, falls er sich breitschlagen ließe, diese schlichte hübsche Frau nur enttäuschen konnte. Sie war achtzehn Jahre jünger als er, in ebenjenem Alter, in dem eine kinderlose Frau sich beeilen musste. Wollte er nicht bald antreten und seine Pflicht erfüllen, sollte er sich zurückziehen. Sie würde eine gewisse Zeit brauchen, um sich neu zu orientieren, dann Ersatz für ihn finden. Aber sie wollte nicht, dass er ging, und er brachte es nicht über sich, sie zu verlassen. Und doch - ein weiteres Mal, zum sechsten Mal, als Ehemann enttäuschen, und dann auch noch mit sechzig Vater werden? Was für ein grotesker Rückschritt!
    Mit ihr über diese Angelegenheit zu sprechen war eine Qual. Beim letzten Mal, in einem Restaurant am Piccadilly Circus, hatte sie ihm mit feuchten Augen erklärt, eher würde sie auf ein Kind verzichten, als ihn zu verlieren. Unerträglich. Stoff für Kummerkästen. Er mochte ihr nicht glauben. Wenn er sie wirklich liebte, dachte er, sollte er sie freigeben, auf der Stelle. Aber er hatte sie gern, und er war schwach. Wie konnte er dieses Geschenk ausschlagen, das ihm da in den Schoß gefallen war? Welche andere junge Frau würde sich so liebevoll eines Mannes wie ihm annehmen, ein wenig abstrus, wie er war, klein, dick und alt, gebeutelt von öffentlicher Kritik, einer, dem ein Hauch von Versagen anhaftete und den seine verrückte Affäre mit den Sonnenstrahlen mit Haut und Haar in Anspruch nahm?
    Am Ende traf er die kläglichste Wahl von allen: Er wählte nicht, duckte sich einfach weg. Ohne sich vollständig zu lösen, blieb er auf Distanz - er arbeitete ja sowieso die meiste Zeit im Ausland. Er traf sich mit anderen Frauen und schwebte ständig zwischen Hoffen und Bangen, ob sie nicht doch eines Tages anrufen und ihm von dem eifrigen talentierten Anwärter am Rand ihres Daseins erzählen würde, der nur darauf warte, in ihr Leben zu treten, oder es bereits getan habe. Und wenn er dann schwach genug wäre, würde er eilig zurückkehren, um zu verteidigen, was er plötzlich als seinen Besitz erachtete, und sie würde den Beau vor lauter Dankbarkeit in die Wüste schicken, es bliebe beim alten Chaos, und er wäre der falschen Entscheidung wieder einen Schritt näher gekommen.
    Er steckte den Palmtop ein, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Vor ihm auf dem Tisch schimmerten die Salz-und-Essig-Chips durch seine fast geschlossenen Lider, und hinter dem Päckchen stand eine Plastikflasche Mineralwasser, die dem jungen Mann gehörte. Beard überlegte, ob er sich die Notizen für seinen Vortrag ansehen sollte, aber die anstrengende Reise und die Drinks zur Mittagszeit hatten ihn fürs Erste träge gemacht, außerdem glaubte er seinen Stoff gut genug zu beherrschen, und in seiner Brusttasche steckte ein Kärtchen mit ein paar brauchbaren Zitaten. Die Chips wollte er schon, nicht mehr so dringend, aber dennoch. Einige dieser

Weitere Kostenlose Bücher