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Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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dieser Text, nur innerhalb der kleinen Gemeinschaft von Genetikern, die ihn eventuell lasen, einen Sinn, nur von dorther beziehe das Gen seine Realität. Außerhalb dieser Netzwerke existiere TRIM5 nicht.
    Beard und den versammelten Physikern waren diese Ausführungen peinlich, nur aus Höflichkeit tauschten sie keine vielsagenden Blicke aus. Sie alle hingen der herkömmlichen Betrachtungsweise an, wonach die Welt in all ihrer Rätselhaftigkeit unabhängig von irgendwelchen Beobachtern existiert, der Mensch sie jedoch beschreiben und erklären kann, selbst wenn er beim Beobachten überall seine Fingerabdrücke hinterlässt. Beard hatte Gerüchte gehört, denen zufolge an geisteswissenschaftlichen Fakultäten recht seltsame Vorstellungen kursierten. Angeblich trichterte man den Studenten dort ein, die exakten Wissenschaften seien auch nur irgendein Glaubenssystem, nicht mehr und nicht weniger wahr als Religion oder Astrologie. Er hatte immer gedacht, da mache jemand seine Kollegen von den Geisteswissenschaften schlecht. Die Ergebnisse sprachen doch für sich! Kein Mensch würde sich mit einem Impfstoff impfen lassen, den ein Priester entwickelt hatte.
    Als Nancy Temple endete, meldeten sich, eher verwundert als aufgebracht, Newcastle und Cambridge gleichzeitig zu Wort. »Und wie erklären Sie dann zum Beispiel die Huntington-Krankheit?«, fragte der eine und im gleichen Atemzug der andere: »Glauben Sie im Ernst, dass etwas, von dem Sie nichts wissen, nicht existiert?«
    Beard, ritterlich bis ins Mark, hielt es für seine Pflicht, sie zu beschützen, und wollte gerade einschreiten, aber da setzte Frau Professor Temple bereits selbst zu einer herablassenden Antwort an.
    »Chorea Huntington ist ebenfalls kulturell geprägt. Früher hat man von göttlicher Strafe oder Veitstanz gesprochen. Heute spricht man von einem fehlerhaften Gen, morgen vielleicht wieder von etwas anderem. Was die Gene betrifft, die sich unserer Kenntnis entziehen, nun, dazu kann ich natürlich nichts sagen. Zu den Genen, die man beschrieben hat, kann hingegen eindeutig festgestellt werden, dass wir nur durch kulturelle Vermittlung von ihnen wissen.«
    Ihre Herablassung provozierte Empörung. Doch diesmal trat der Vorsitzende energisch dazwischen - in solchen Dingen war er ein alter Hase; sie kämen nun, sagte er, angesichts der knappen Zeit zu Punkt zwei der Tagesordnung. Vorgesehen seien zwölf Sitzungen in dreizehn Monaten, anschließend sollten Empfehlungen abgegeben werden. Er schlage vor, einige vorläufige Termine festzulegen.
    Später am Nachmittag saß das Komitee an einem langen Tisch in der Royal Society und präsentierte der Presse, was eine pr -Abteilung der Regierung auf den Namen Brit-Physik getauft hatte. Das Logo des Projekts prangte auf einer Staffelei: ein bizarres Monogramm aus der Formel E = mc 2 , die Buchstaben aufgespießt auf das Gleichheitszeichen; das Ganze glich einem windschiefen Gebüsch. Beard stellte seine Kollegen vor, machte einige einleitende Bemerkungen und übergab dann den Journalisten das Wort. Die aber saßen zusammengesunken über ihren Rekordern und Notizblöcken und grämten sich offensichtlich über den Ernst ihrer Aufgabe und den skandalösen Mangel an Zündstoff. Wer wollte es schon mit so vielen Physikern aufnehmen? Die Fragen waren einfältig, die Antworten beflissen. Das ganze Projekt war beklagenswert nützlich. Warum der Regierung den Gefallen tun und ausführlich darüber berichten?
    Dann stellte die Reporterin einer Boulevardzeitung eine Frage, auch die ein alter Hut, und Beard antwortete, wie es ihm schien, verbindlich. Frauen seien in der Physik tatsächlich unterrepräsentiert, das sei schon immer so gewesen. Ein häufig diskutiertes Problem, dem sein Komitee (er dachte an Nancy Temple, als er das sagte) gewiss Aufmerksamkeit schenken werde, vielleicht könne man ja neue Wege finden, junge Frauen für dieses Fachgebiet zu begeistern. Seiner Meinung nach gebe es heutzutage keine institutionellen Hindernisse oder Vorurteile mehr. In anderen Wissenschaftszweigen seien Frauen anteilmäßig gut vertreten, in manchen sogar in der Mehrheit. Und da ihn das Thema anödete, fügte er hinzu, vielleicht müsse man eines Tages akzeptieren, dass ein Limit erreicht sei. Natürlich gebe es viele begabte Physikerinnen, doch sei zumindest denkbar, dass sie auf diesem speziellen Gebiet immer eine, wenn auch bedeutende, Minderheit bleiben würden. Vielleicht wollten einfach mehr Männer als Frauen Physik

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