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Solaris

Solaris

Titel: Solaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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zu denken, faßte ich sie auf meiner Seite und hielt sie fest. Der Druck verstärkte sich nicht, aber er ließ auch nicht nach. Dieser Jemand auf der anderen Seite der Tür verhielt sich ebenso lautlos, womöglich verblüfft. Wir hielten die Klinke ein ganz schönes Weilchen lang. Dann schnellte sie mir plötzlich entlastet in der Hand hoch, und ein schwaches Rascheln zeigte an, daß der andere fortging. Ich stand noch und horchte, aber alles war still.
    Gäste
    Hastig faltete ich Gibarians Notizen zweifach zusammen und steckte sie zu mir. Ich trat langsam zum Schrank und schaute hinein: Overalls und Anzüge waren zusammengedrückt und in die eine Ecke gezwängt, so, als ob sich daneben jemand hingestellt hätte. Unter einem Stoß Papier auf dem Boden ragte eine Ecke eines Briefumschlags hervor. Ich hob ihn auf. Er war an mich adressiert. Mir schnürte sich plötzlich die Kehle zu, ich riß den Briefumschlag auf, und es kostete mich Überwindung, das kleine Blatt Papier auseinanderzufalten, das darin steckte.
    In seiner regelmäßigen, überaus kleinen, aber leserlichen Handschrift hatte Gibarian notiert:
    Ann. Solar., Vol. 1, Annex; vgl. auch Vot. separat. Messengers zum Fall F., in: Ravintzer, Kleine Apokryphe.
    Und kein Wort weiter. Das war alles. Die Schriftzüge zeugten von Eile. Ob das irgendeine wichtige Nachricht war? Wann hatte er das geschrieben? Ich dachte, ich sollte schnellstens in die Bibliothek gehen. Diesen Annex zum ersten solaristischen Jahrbuch kannte ich, das heißt, ich wußte von seiner Existenz, hatte ihn aber nie in der Hand gehabt, da er von rein historischem Wert war. Dagegen hatte ich von irgendeinem Ravintzer oder von seiner »Kleinen Apokryphe« nie auch nur gehört.
    Was tun?
    Ich war schon über eine Viertelstunde verspätet. Noch einmal, von der Tür aus, erfaßte ich mit einem Blick das ganze Zimmer. Erst jetzt bemerkte ich das senkrecht an der Wand befestigte Klappbett, denn eine auseinandergerollte Solariskarte verdeckte es. Hinter der Karte hing etwas. Das war ein Taschen-Tonbandgerät mit Futteral. Ich packte den Apparat aus, das Futteral hängte ich an den vorigen Platz, und das Bandgerät steckte ich ein. Ich schaute auf den Zähler - fast die ganze Spule war bespielt.
    Wieder stand ich eine Sekunde lang bei der Tür und horchte angestrengt in die Stille hinaus. Nichts. Ich öffnete die Tür, der Korridor erschien mir als schwarze Kluft, erst jetzt nahm ich die dunklen Gläser ab und erblickte die schwachen Deckenlicht er. Ich schloß die Tür hinter mir und ging nach links, auf die Funkstation zu.
    Ich näherte mich der runden Kammer, bei der sich die Korridore radspeichenförmig verzweigten, und als ich an einem engen Seitengang vorbeikam, der vermutlich zu den Baderäumen führte, da erblickte ich eine große, undeutliche, fast im Halbdunkel verschwimmende Gestalt.
    Ich blieb stehen wie angewurzelt. Aus der Tiefe dieses Seitenstollens kam mit gemächlichem, watschelndem Gang eine ungeheure Negerin. Ich sah ihre Augäpfel blitzen, und fast gleichzeitig vernahm ich schon das weiche Aufklatschen ihrer nackten Sohlen. Sie trug nichts am Leib als ein gelblich schimmerndes, wie aus Stroh geflochtenes Röckchen; sie hatte riesige hängende Brüste, und die schwarzen Arme kamen den Schenkeln eines normalen Menschen gleich; sie schritt an mir vorbei, ohne auch nur in meine Richtung zu schauen - im Abstand von einem Meter -, und ging, die elefantenhaften Hinterbacken wiegend, diesen fettsteißigen Altsteinzeitplastiken ähnlich, wie man sie manchmal in anthropologischen Museen sieht. Wo der Korridor umbog, wandte sie sich seitwärts, und in der Tür zu Gibarians Kabine verschwand sie. Beim Öffnen stand sie einen Moment lang in dem stärkeren Licht, das im Zimmer brannte. Die Türschloß sich leise, und ich blieb allein. Mit der rechten Hand faßte ich die linke um die Mitte und drückte sie mit voller Kraft zusammen, daß die Knochen krachten. Ich blickte mich verstört in der Umgebung um. Was war geschehen? Was war das? So plötzlich, als hätte mich jemand geschlagen, erinnerte ich mich an Snauts Warnung. Was hatte das zu bedeuten? Wer war diese scheußliche Aphrodite? Wo kam sie her? Ich tat einen, nur einen Schritt auf Gibarians Kabine zu und hielt reglos inne. Ich wußte nur zu gut: ich werde dort nicht hineingehen. Mit geweiteten Nüstern sog ich die Luft ein. Da stimmte etwas nicht, paßte nicht zusammen - ach ja! Instinktiv erwartete ich den ekligen, deutlichen Dunst von ihrem

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