Solaris
Ich habe nicht an deine Angelegenheiten gerührt. Ich gebiete dir nichts und verbiete dir auch nichts, und ich täte es nicht, selbst wenn ich könnte. Du, du bist hergekommen und hast alles vor mir ausgebreitet, und weißt du, warum? Nein? Um das loszuwerden. Von dir abzuwälzen. Ich kenne diese Last, mein Lieber! Ja, ja, unterbrich mich nicht! Ich hindere dich an nichts, du aber, du willst, daß ich dich behindern soll. Wollte ich dir den Weg vertreten, so schlügest du mir vielleicht den Schädel ein, dann hättest du mit mir zu tun, mit einem, der aus ebensolchem Lehm und Blut geknetet ist, wie du, und selbst könntest du dich wie ein Mensch fühlen. So aber… kannst du damit nicht fertig werden, und deshalb diskutierst du mit mir… aber eigentlich mit dir selbst! Jetzt sag mir nur noch, du würdest dich krümmen vor Leid, wenn sie plötzlich verschwände, nein, sag gar nichts.
- Also weißt du! Ich bin hergekommen, um dir aus bloßer Fairneß zu sagen, daß ich vorhabe, mit ihr die Station zu verlassen - wehrte ich den Angriff ab, aber das klang für mich selbst nicht überzeugend. Snaut zuckte die Achseln.
- Sehr leicht möglich, daß du auf dem Deinigen beharren
mußt. Wenn ich mich überhaupt zu dieser Sache geäußert habe, dann nur deshalb, weil du dich immer höher versteigst, und der Sturz aus der Höhe, du verstehst selbst… Komm morgen früh etwa um neun hinauf zu Sartorius… Kommst du?
- Zu Sartorius? - Ich wunderte mich. - Er läßt doch niemanden ein, du hast gesagt, daß er nicht einmal anzurufen ist.
- Jetzt hat er sich irgendwie geholfen. Wir reden darüber nicht, weißt du. Du bist… das ist ganz etwas anderes. Na, egal. Kommst du in der Früh?
- Ich komme - murmelte ich. Ich schaute Snaut an. Seine linke Hand war wie von ungefähr hinter der Schranktür verborgen. Wann war die aufgesprungen? Wohl vor ziemlich langer Zeit, aber in der Hitze dieses für mich gräßlichen Gesprächs hatte ich das nicht beachtet. Wie unnatürlich das aussah… So, als… versteckte er etwas dort. Oder als hielte ihn jemand bei der Hand. Ich leckte mir die Lippen.
- Snaut, was treibst du? …
- Geh hinaus - sagte er leise, sehr ruhig. - Geh.
Im letzten roten Widerschein ging ich fort und schloß die Tür hinter mir. Harey saß auf dem Fußboden, etwa zehn Schritte weiter, dicht an der Wand. Als ich mich zeigte, sprang Harey auf.
- Siehst du…? - sagte sie und sah mich mit blitzenden Augen an. - Es ist gelungen, Kris… Ich freue mich so… Vielleicht… vielleicht wird es nun immer besser…
- Aber ja, gewiß - entgegnete ich zerstreut. Wir gingen wieder heim, und ich zerbrach mir den Kopf über diesen idiotischen Schrank. Also… also Snaut versteckte dort…? Und dieses ganze Gespräch…? Die Wangen fingen mir so zu brennen an, daß ich sie unwillkürlich rieb. Gott, was für ein Irrsinn. Und was hatten wir eigentlich abgemacht? Gar nichts? Richtig, morgen früh…
Und plötzlich packte mich die Angst, fast solche, wie vorige Nacht. Mein EEG. Übersetzt in die Schwingungen eines Strahlenbündels, sollte die vollständige Aufzeichnung aller Gehirnprozesse hinabgesendet werden. In die Tiefe dieses unermeßlichen, uferlosen Monstrums. Wie hatte Snaut gesagt? »Du littest ganz gräßlich, wenn sie verschwände, was…?« Das FEG ist die vollständige Aufzeichnung. Auch der unbewußten Prozesse. -
Wenn ich nun will, daß sie verschwinden soll, umkommen? Hätte mich sonst so erschüttert, daß sie diesen gräßlichen Versuch überlebt hat? Gibt es das: Verantwortlichkeit für das eigene Unterbewußtsein? Wenn nicht ich dafür verantwortlich bin, wer dann? … Welche Idiotie! Warum zum Teufel habe ich zugestimmt, daß gerade mein, mein… Natürlich kann ich sie vorher durchstudieren, diese Aufzeichnung, aber ich entziffere sie ja doch nicht. Das vermag niemand. Die Spezialisten können nur bestimmen, worüber der Untersuchte nachgedacht hat, aber in ganz groben Zügen: daß er zum Beispiel gerade eine mathematische Aufgabe löste, aber was für eine, das können sie schon nicht mehr beurteilen. Sie erklären das für unmöglich, denn das FEG ist ja die Resultierende, das Gemengsel aus einer ganzen Vielzahl gleichzeitig ablaufender Prozesse, und nur manche davon sind psychisch »unterlegt«… Und die unterbewußten… Von denen wollen die Fachleute gar nicht reden, und wie sollten sie gar jemandes Erinnerungen entziffern wollen, unterdrückte oder
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