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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Ich fragte mich, wie er es fertigbrachte, mich in der Dunkelheit so genau auszumachen. Ich fragte mich, warum ich nichts hörte, nicht einmal Atemgeräusche. Der Gegenstand erreichte mein Ohr, berührte es flüchtig und glitt daran vorbei, an meiner Wange entlang, und etwas Glattes, Kühles streifte meine Haut.
    »Vielleicht mache ich lieber erst einmal Licht, wenn Sie nichts dagegen haben«, krächzte ich und betätigte den Lichtschalter, den ich mittlerweile unter meinen Fingerspitzen spürte.
    Der Gegenstand, der da eben an meinem Gesicht vorbeigeglitten war, war ein nacktes Bein.
    Ich drehte mich vorsichtig um, schon ahnend, daß kein angenehmer Anblick auf mich wartete. Und als ich mich umgedreht hatte, dankte ich dem Schicksal, daß ich schon lange nichts mehr gegessen hatte.
    Es war Oba, oder vielmehr das, was Ralf von ihr übriggelassen hatte. Sie schwebte mit entblößtem Unterleib, den Oberkörper grotesk verdreht, in der Luft, und das, was die Nervenenden meines Nackens vorsichtshalber als schallgedämpften Lauf eines Revolvers eingeschätzt hatten, war in Wirklichkeit ihr rechter großer Zeh gewesen. Ihr kalter, toter, rechter großer Zeh.
    Und im Augenblick befand sich mein Kopf genau zwischen ihren gespreizten Schenkeln. Ich griff nach ihren Beinen und bremste ihre Bewegung ab. Dann, obwohl ich wußte, daß das verräterisch sein konnte, sammelte ich ein paar der herumfliegenden Kleidungsstücke ein und verhüllte ihre Blöße wieder. Es gab einen Mann auf der Erde unten, der niemals erfahren durfte, wie sie gestorben war, das schwor ich mir. Ralf schien nicht damit genug gehabt zu haben, ihr so oft in den Kopf zu schießen, daß man die einzelnen Einschußlöcher nicht mehr zählen konnte und ihr Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt war. Er mußte sich auch noch, nachdem sie längst tot gewesen war, an ihr vergangen haben, auf irgendeine widerwärtige Art und Weise, die sich auszumalen meine Phantasie verweigerte.
    Wer weiß, was er mit uns anderen vorhaben mochte? Mein Mund fühlte sich plötzlich seltsam trocken und staubig an. Ich ließ von dem Leichnam Obas ab und machte mich auf die Suche nach dem, weswegen ich eigentlich gekommen war: dem Betäubungsgas. Bei meinem letzten Reinigungsdurchgang im biologischen Labor hatte ich noch zwei der bonbonrosafarbenen Gaspatronen in irgendwelchen Schubladen gesehen. Eine hatte Khalid entdeckt, und aus welchem Grund hätte er sie nicht hier zurücklassen sollen? Schließlich wußte er zu diesem Zeitpunkt sicher schon, daß er uns allesamt in seine stickige, dunkle Raumkapsel stecken würde.
    Aber er schien seine Gründe gehabt zu haben. Ich öffnete Lade um Lade, Schrank um Schrank, fand alles mögliche nutzlose Zeug, aber keine annähernd rosafarbene Metallflasche. Khalid schien sich nicht nur damit begnügt zu haben, die bei Oba beschlagnahmte Patrone verschwinden zu lassen; er mußte eine regelrechte, gründliche Durchsuchung vorgenommen haben. Eine erfolgreiche Durchsuchung darüber hinaus, denn ich fand auch die zweite Patrone nirgends.
    Schließlich gab ich es auf. Es wäre auch zu einfach gewesen: einfach den Raumhelm aufsetzen, die Gaspatrone öffnen und dann gemütlich losgehen, Schurken einsammeln. So mußte ich eben zu meinem ursprünglichen Plan zurückkehren. Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Es gab keinen Grund zu unnötiger Eile, aber ich hatte mich schon länger mit der Suche nach dem Betäubungsgas aufgehalten, als ich eigentlich vorgehabt hatte.
    Und es gab auch keinen Grund mehr, länger diesen klobigen Raumanzug zu tragen. Ich löste die Verschlüsse der Handschuhe und zog sie aus, entledigte mich des Rückentornisters, öffnete dann die Dichtungen am Gürtel, streifte das Oberteil ab und schlüpfte zuletzt erleichtert aus dem Hosenteil. Es war eine Wohltat, sich wieder ungehindert bewegen zu können. Nach einem letzten prüfenden Blick in die Runde – manchmal sucht man ja stundenlang nach etwas, das die ganze Zeit groß und breit direkt vor der Nase liegt – löschte ich die Beleuchtung wieder und ließ das Schott auffahren. Immer noch Stille. Ich streckte den Kopf hinaus in den Knotentunnel. Immer noch Leere. Vielleicht hatten sich die Piraten in der Zwischenzeit heillos betrunken und schliefen irgendwo ihren Rausch aus? Oder, was mir natürlich am allerliebsten gewesen wäre, sie hatten sich gegenseitig die Schädel eingeschlagen?
    Dann schalt ich mich einen Narren. Es gab einen ganz anderen Grund, warum keiner von

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