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Solarstation

Titel: Solarstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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erst begann ich zu zittern.
    Es war aus. Es war aus und vorbei. Ich hatte meine Mission vermasselt; ich hatte die einzige Chance für einen kleinen Jungen in einer großen, fernen Stadt, den kommenden Tag noch zu erleben, verspielt. Ralf hatte mich entdeckt, und so blöde, das Auf- und Zufahren eines Schotts als Halluzination abzutun, war selbst er nicht. Ich hatte keine Chance mehr. Ich saß hier gefangen, hier, im materialwissenschaftlichen Labor der Solarstation NIPPON, das keinen zweiten Ausgang hatte, nur dieses eine Schott zum Knotentunnel, das sich von innen nicht abschließen ließ. Ich hatte den Plan des Propheten Abu Mohammed durchkreuzen wollen, doch ich war gescheitert. Und Ralf näherte sich unüberhörbar und unaufhaltsam. Ralf, der Killer. Und ich hatte keine Waffe, nicht einmal einen simplen Stock…
    Eine Waffe. Moment mal. Kims Schwert fiel mir wieder ein. Das Habilitations-Schwert. Irgendwo in diesem Raum mußte er es untergebracht haben, das Schwert mit der Klinge aus monokristallinem Stahl.
    Von draußen drangen dumpfe, klappernde Geräusche herein. Ralf kam näher. Es schien ihm schwerzufallen, sich von Haltegriff zu Haltegriff zu hangeln und dabei gleichzeitig seine unvermeidliche Pistole in der Hand zu behalten.
    Ich öffnete fieberhaft Lade um Lade. Papiere, Hefter, Ordner, bizarre Metallproben quollen mir entgegen. Kein Schwert. Ich wollte nicht über die Möglichkeit nachdenken, daß Kim es womöglich an irgendeinem anderen Platz deponiert haben mochte, nachdem er es mir gezeigt hatte. Da waren noch viele Klappfächer, Schubladen und Schranktüren…
    »Hallo…«, gurrte Ralf draußen im Tunnel. Er hatte das Schott beinahe erreicht, und er klang, als stünde er unter schweren Drogen. »Hallo, du Weltraumgeist, ich komme… und hole dich!«
    Da. Ein längliches Gebilde, eingewickelt in dicken, weißen Stoff und mit viel zu vielen Kordeln verschnürt. Ich riß sie hastig auf, von panischer Angst getrieben, zerfetzte das Tuch, um an das Schwert heranzukommen…
    Das Schott fuhr auf, zischend, majestätisch, endgültig. Für einen Moment herrschte Stille, war nichts zu sehen außer dem leeren Knotentunnel draußen und den anderen, geschlossenen Schotten auf dieser Ebene. Dann zuckte ein Arm durch die weite Öffnung; ein Arm, der eine dunkel glänzende Pistole hielt, auf deren Lauf ein monströs dicker, phallushafter Schalldämpfer geschraubt war. Ralf mochte ein Monstrum sein, ein verrückter Killer, aber er war auf seinem Gebiet ein absoluter Profi. Die Waffe sicherte nach rechts, den toten Winkel rechts neben der Tür. Dann, als klar war, daß sich dort niemand versteckt hielt, glitt der Arm mit der Waffe langsam herum, in einem langen, weiten Bogen durch den Raum, und suchte nach weiteren Zielen.
    Aus jeder Bewegung sprach die unendliche Erfahrung eines Mannes, dessen Beruf das Töten war und der wohl sein Leben lang nichts anderes getan haben mochte, als Menschen zu jagen, zu stellen und schließlich umzubringen. Als er niemanden ausmachte, huschte er mit einer Behendigkeit, der das Auge kaum folgen konnte, auf die andere Seite des offenstehenden Schotts und sicherte den toten Winkel auf der linken Seite ab.
    Auch hier war niemand. Der Arm mit der Waffe ließ wieder von der linken Ecke ab und wanderte einen Moment lang etwas unschlüssig und ohne konkretes Ziel hin und her. Im Hintergrund des Labormoduls gab es eine Reihe von Stahlschränken, jeder einzelne groß genug, um einem Menschen als Versteck dienen zu können. Ralf kam langsam herein, schußbereit, angespannt wie ein Tiger vor dem Sprung und jederzeit bereit, in Deckung zu gehen.
    Er war mittlerweile schon recht lange im Weltraum gewesen, aber doch noch nicht lange genug. Sein Körper hatte sich an die Bedingungen der Schwerelosigkeit angepaßt, aber sein Verstand noch nicht. Und er würde es auch nicht mehr.
    Ich hatte mich oberhalb der Tür versteckt gehabt. Auf diese Idee war er nicht gekommen, aber tatsächlich ist es in der Schwerelosigkeit genauso leicht oder schwer, sich oberhalb einer Tür zu verstecken, wie rechts oder links davon. Aber Ralf dachte noch in den Begriffen von Schwerkraft, und auch die Einrichtung des Labors, die er durch das Schott erblickt hatte, mit dem Gitterboden, den Tischen und Geräten rechts und links und den Neonröhren, hatte so vertraut-irdisch gewirkt, daß sie ihn nicht hatte an Schwerelosigkeit denken lassen und an die Möglichkeiten, die diese bot. Ich hatte seine Absicherungsbewegungen aus

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