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Soldaten

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Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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sowjetische Einheiten, aber auch die US -amerikanischen Truppen ebenso gemacht, und nicht nur im Zweiten Weltkrieg. So teilte General Bruce Palmer, stellvertretender Befehlshaber der US -amerikanischen Truppen in Vietnam, in einem Akt unabsichtlicher Offenheit mit: »Amerikaner haben tatsächlich Verbrechen im Lauf des Vietnam-Krieges begangen, aber zahlenmäßig in keiner anderen Größenordnung als in den Kriegen zuvor.« [213] Damit ist ausgesprochen, was die Verbote von rechtswidrigen Handlungen an sich auszeichnet: Niemand geht davon aus, dass sie
nicht
gebrochen werden. Aber das Maß, was an Rechtsverletzung als tolerabel und akzeptabel gilt, variiert sowohl historisch als auch individuell. Und im Rahmen von Kampfhandlungen in einem totalen Krieg legen die Männer immer wieder sehr weit aus, welche Grenzüberschreitungen legitim sind und welche nicht. Was freilich im Unterschied zu dieser allgemeinen Praxis im Zweiten Weltkrieg ausschließlich im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg vorkommt, ist zum einen die genozidale Vernichtung von Personengruppen, die gar nichts mit dem Kriegsgeschehen zu tun haben, und die ebenfalls genozidale Behandlung der russischen Kriegsgefangenen. In diesen beiden Aspekten kommen ideologische, namentlich rassistische Mentalitäten zum Ausdruck, die die Gelegenheitsstruktur Krieg in die bislang radikalste Praxis von Zerstörung und Vernichtung übersetzten, die die Moderne gesehen hat.
    In den Abhörprotokollen finden sich darüber eine ganze Menge Erzählungen, freilich nicht so viele, wie die auf die nationalsozialistischen Verbrechen fokussierende deutsche Historiographie des Dritten Reiches vermuten lassen würde. Der Grund dafür ist einfach: Das, was nachträglich – und zwar erst nach einigen Jahrzehnten an vergangenheitspolitischen Konflikten – als
die
Signatur des Zweiten Weltkriegs betrachtet wurde, war in den Augen der Soldaten keineswegs etwas Besonderes. Die allermeisten wussten zwar von den Verbrechen, nicht wenige waren an ihnen auch beteiligt, aber sie nahmen in ihrem Referenzrahmen keinen besonderen Raum ein. Wichtiger waren ihnen das eigene Überleben, der nächste Heimaturlaub, was man »organisieren« und wo man Spaß haben konnte und eben nicht so sehr das, was anderen geschah, zumal jenen, die als rassisch »niedrigstehender« definiert waren. Das eigene Schicksal stand stets im Mittelpunkt der Wahrnehmung, das Schicksal feindlicher Soldaten oder der besetzten Bevölkerung war allenfalls in Einzelfällen bedeutsam oder interessant. Und alles, was das eigene Leben bedrohte, was einem den Spaß verdarb, Probleme bereitete, konnte zum Ziel ungezügelter Gewalt werden. So war es ein Allgemeinplatz, dass man Partisanen »umlegte«, da sie aus dem Hinterhalt deutsche Soldaten töteten. Rache war eine sehr wirkungsmächtige Rechtfertigung. Diese Haltung war im Übrigen völlig unabhängig von der politischen Einstellung. So meinte der überaus NS -kritische Panzergeneral Ritter von Thoma gegenüber dem britischen Lageroffizier Lord Aberfeldy: »Wenn immer in der Franzosenzeitung mit Stolz drinnen steht die Monatsbilanz, soundsoviele hundert Züge gesprengt, soundsoviele Fabriken abgebrannt, 480 Offiziere und 1020 Mannschaften erschossen. Ja, verdammt nochmal – haben die anderen dann nicht das Recht, dass sie, wenn sie die Leute fassen, dass sie sie über den Haufen schießen? Das ist doch eine Selbstverständlichkeit, aber das rechnen die alles als Kriegsverbrechen. Das ist eine große Scheinheiligkeit.« [214]
    Neben der Tötung von Gefangenen war die Partisanenbekämpfung der Rahmen, in dem deutsche Soldaten die meisten Kriegsverbrechen begingen. Die Auslegung des Völkerrechts durch deutsche Militärjuristen und die Wahrnehmung der Soldaten bildeten hier eine unheilvolle Gemengelage. Das kodifizierte Völkerrecht gab den Handelnden keine eindeutigen Verhaltensregeln für den Guerillakrieg vor. Die Haager Landkriegsordnung ( HLKO ) von 1907 wies hinsichtlich der Rechte und Pflichten einer Besatzungsmacht etliche Widersprüchlichkeiten und offene Fragen auf. Hierbei bereitete der rechtliche Status von Freischärlern noch vergleichsweise wenige Probleme. Unter der Voraussetzung, dass diese eine Reihe bestimmter Bedingungen erfüllten (rudimentäre Uniformierung, offenes Tragen der Waffen, klare Befehlsstrukturen, Respektierung der Gesetze des Krieges) sollte es ihnen gestattet sein, der regulären Armee ihrer Heimat im Abwehrkampf beizustehen. Von einer

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