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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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hatten wir einen, [...] Brosicke, ein Berliner; jeden, den er im Dorf sah, führte er hinters Haus und hat ihm einen Genickschuss gegeben. Dabei war der Kerl damals zwanzig Jahre oder neunzehneinhalb. Es hieß, jeder zehnte Mann ist zu erschießen in dem Dorf. ›Ach, was heisst hier jeder zehnte Mann? Das ist doch ganz klar‹, sagen die Kumpels, ›das ganze Dorf muss ausgerottet werden.‹ Da haben wir Bierflaschen mit Benzin gefüllt auf den Tisch gestellt und beim Rausgehen so ganz lässig Handgranaten dahintergeworfen. Da brannte gleich alles lichterloh – Strohdächer. Man hat Frauen und Kinder, alles niedergeschossen; die wenigsten davon waren Partisanen. Ich habe bei so was nie geschossen, wenn ich nicht ganz genau gewusst habe, dass das überhaupt Partisanen waren. Aber es gab viele Kumpels, denen macht das ungeheuren Spaß. [223]
    Der Obergefreite Müller distanziert sich am Ende deutlich von dieser Art Kriegsverbrechen – er habe »bei so was nie geschossen« –, berichtet aber in der ersten Person Plural detailliert, wie sie Häuser niederbrannten. An solchen Geschichten sieht man, was die Männer als Verbrechen ansehen und was nicht, und wie fließend die Grenze dazwischen ist. Das Erschießen von Frauen und Kindern gilt Müller als Verbrechen, jedenfalls solange unklar ist, ob es sich dabei tatsächlich um Partisanen handelt, das Niederbrennen von Dörfern hingegen nicht (»Da ist es klar, man muss das Dorf dem Erdboden gleichmachen, ohne Rücksicht auf Verluste« [224] ).
    Auffällig an Müllers Erzählung ist außerdem, dass er mit dem Berliner Brosicke eine Referenzfigur in seine Geschichte einbaut, von der er sich selbst positiv absetzen kann: Das Verhalten Brosickes ist eindeutig verbrecherisch, genauso wie das der »vielen Kumpels«, die »ungeheuren Spaß« beim Morden hatten – Müllers Verhalten
demgegenüber
nicht. Auch wenn Soldaten Wert darauf legen, juristisch korrekt zu handeln, sollte ein wichtiger Gesichtspunkt nicht aus dem Blick geraten: Mit Hilfe solcher Differenzierungen findet jeder der Beteiligten seinen Ort im Gesamtzusammenhang des Verbrecherischen, ohne sich selbst moralisch zurechnen zu müssen, dass er an etwas Unrechtem teilgehabt habe. Wie man auch anhand der in sich differenzierten Gruppen der Täter bei Massenerschießungen und sogenannten Judenaktionen zeigen kann, ist es aber gerade die individuelle Auslegung der Anforderungen, die gewährleistet, dass die Tötung im Ganzen funktioniert. [225] Individuelle Haltungen und Entscheidungen werden in einer solchen Situation also nicht nivelliert, wie Überlegungen zum »Gruppendruck« und zum sozialen Einfluss nahelegen; es ist gerade die Binnendifferenzierung der Gruppe, die sie als Ganze handlungsfähig macht. Was geschieht, könnte man, in Anlehnung an Herbert Jäger, als individuelles Handeln in kollektiven Ausnahmezuständen bezeichnen. [226]
    Der Obergefreite Diekmann erzählt detailliert darüber, wie er »Terroristen« in Frankreich bekämpft hat:
    DIEKMANN : Terroristen habe ich eine Menge auf meinem Gewissen, Tommies nicht so viele; nur einen Panzerkommandanten, das war ein Leutnant oder was, den habe ich aus dem Panzer rausgeschossen, als er den Deckel aufmachen wollte und dreck-neugierig gucken wollte. Sonst könnte ich mich nicht erinnern, natürlich so im Kampf, das weiß ich ja nicht, was ich nicht gesehen habe. Aber mit den Terroristen, da war ich wie ein Wilder. Wenn ich einen gesehen habe und irgendwie verdächtig – habe ich gleich draufgehauen. Als ich gesehen habe, wie ein Kamerad neben mir verblutet ist, den sie erschossen haben, so meuchlerisch, da habe ich mir geschworen: ›Nun wartet!‹ In Thilay, auf dem Rückmarsch, ich marschiere mit denen lustig durch die Straßen, wir denken uns nichts, kommt ein Zivilist an, zieht die Hand aus der Tasche Pistole, Knall, futsch, mein Kumpel fällt um.
    HAASE : Habt ihr den gekriegt?
    DIEKMANN : Ach wo! Bis wir überhaupt begriffen haben, dass es in Belgien so weit ist, wo nicht mal der Tommy da war, da war er schon halb verblutet; da habe ich ihm nur die Augen zudrücken können. Er hat nur noch gesagt: ›Franz, räche mich!‹ Da kam hinter uns die Kompanie und hatte LKW s requiriert. Mein MG drauf – MG 42 hatte ich – vorne drauf, ganz oben, und in die Fenster. Ich habe erst bekannt gegeben: ›Sämtliche Fenster zu, alles hat zu verschwinden von der Straße!‹ Ach was, denen haben wir gar nicht so lange Zeit gelassen. Der Spieß hat gesagt:

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