Soldaten
uns auf der Stellung erschossen. Die war ungefähr 27 Jahre. Die hatte früher bei uns in der Küche gearbeitet.
BRUNDE : War die aus dem Dorf da?
DIEKMANN : Nicht direkt aus dem Dorf, aber sie hat im Dorf gewohnt zuletzt. Die Infanterie hat sie vormittags gebracht, und nachmittags haben sie sie an den Bunker gestellt und erschossen. Sie hat zugegeben, dass sie im englischen Geheimdienst steht.
BRUNDE : Wer hat den Befehl gegeben, [??]?
DIEKMANN : Ja. Das konnte er als Kommandant. Ich habe selbst nicht mitgeschossen, ich habe nur bei der Erschießung zugesehen. Wir haben mal dreißig Terroristen geschnappt, da waren Frauen und Kinder dabei, die haben wir in einen Keller gesteckt ... an die Wand gestellt und abgeknallt. [234]
Auch hier, bei der Erschießung des französischen Majors, bedarf es der legalistischen Begründung: Es findet sich wieder einmal Munition, womit klar scheint, dass der französische Major ein Terrorist ist. Bemerkenswert an Diekmanns weiterer Erzählung ist noch, dass er auch Kinder ohne weiteres zur Gruppe der Terroristen zählt, die dann umstandslos »an die Wand gestellt und abgeknallt« werden. Auch das Phantasma, wer alles zu den Gegnern gerechnet wird, ist nichts Spezifisches für deutsche Kriegsverbrechen. Aus Vietnam etwa sind vergleichbare Aussagen von Soldaten dokumentiert, die selbst Babys für Vietcong hielten, die jederzeit angreifen könnten. Das ist nicht verrückt, sondern die Verschiebung eines Referenzrahmens, in dem für die Definition, wer Feind ist, die Gruppenzugehörigkeit wichtiger ist als alle anderen Merkmale, wie zum Beispiel das Lebensalter. [235] Laut Joanna Bourke, die sich mit der Wahrnehmung des Tötens durch Soldaten am Beispiel verschiedener Kriege beschäftigt hat, kann man aus solchen verschobenen Referenzrahmen nicht ablesen, dass die Männer persönliche Freude am Töten hatten, sondern dass das kaltblütige Töten von Menschen, die kategorial als Feinde definiert sind, zum praktischen Normengefüge des Krieges gehört. Paradoxerweise werden solche Fälle aber, wenn sie juristisch verfolgt werden, als Ausnahmen betrachtet, was zu der irrigen Vorstellung beiträgt, im Großen und Ganzen ginge es im Krieg völkerrechtlich korrekt zu, nur einzelne Akteure fielen gelegentlich aus der Rolle. Autotelische Gewalt, so die damit verknüpfte Vorstellung, sei kein systematischer Aspekt des Krieges, sondern nur eine unerwünschte Ausnahme. Aber wenn die Räume der Gewalt einmal geöffnet sind – so zeigen unsere Gespräche –, kann
jegliches
Verhalten der anderen hinreichend Anlass zum Schießen geben.
Vernichtung
»Der Führer hat im Ausland viel verdorben durch seine Behandlung der Judenfrage. Das
ist
auch eine Taktlosigkeit. Du wirst sehen, wenn die Geschichte geschrieben wird, wird man dem Führer auch Vorwürfe machen, trotzdem er so viel geleistet hat.« [264]
»Ja, das ist aber unvermeidlich. Ein einzelner Mann macht Fehler.«
Eine der großen geschichtspolitischen Debatten der Bundesrepublik wurde durch die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« des Hamburger Instituts für Sozialforschung ausgelöst. Von 1995 bis 1999 wurde diese Dokumentation von Kriegsverbrechen und der Verstrickung der Wehrmacht in die Judenvernichtung in zahlreichen Städten gezeigt, oft zur Empörung vor allem älterer Besucher, die selbst Soldaten gewesen waren. Seit diesem Zeitpunkt, heißt es, sei der Mythos von der sauberen Wehrmacht endgültig dahin. Bemerkenswert an den Auseinandersetzungen um die Ausstellung war aber, dass viele Kriegsteilnehmer jede Verstrickung der Wehrmacht in den Holocaust vehement bestritten. Wie unsere Abhörprotokolle zeigen, hatte das weder etwas mit »Verdrängung« noch mit »Verleugnung« zu tun: Viele Verbrechen, die heute zu Vernichtungskrieg und Holocaust gerechnet werden, wurden zeitgenössisch ganz anders eingeordnet – als Partisanenbekämpfung etwa. Insofern hat man es hier mit der Unterschiedlichkeit zweier Referenzrahmen – des zeitgenössischen und des gegenwärtigen – zu tun.
Aber noch etwas ist an den Abhörprotokollen höchst bemerkenswert: Sie belegen nämlich, dass viele Soldaten über den Prozess der Judenvernichtung en détail Bescheid wussten; zum Teil erzählen sie sogar Aspekte, die die Forschung bis heute noch gar nicht entdeckt hat. Sie stellen aber keine Verbindung zwischen diesen Wissensbeständen und ihrem eigenen Handeln her, obwohl den meisten Soldaten bereits während des Zweiten Weltkrieges bewusst
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