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Soldaten

Soldaten

Titel: Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sönke Neitzel
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›Warte noch, schieß noch nicht, die sind noch nicht so weit!‹ Aber der Spieß hat es noch nicht mal ganz rausgebracht, da hatte ich schon auf den Abzug gedrückt. Da ratterte es schon, sämtliche Fenster abgestrichen, und was sich so eben auf der Straße gezeigt hat. Immer über die Straßen, immer peng, weißt du, immer genau in die sämtlichen Seitenstraßen habe ich hineingeschossen, alles was sich gezeigt hat. Mein Lieber, da ist verschiedentlich einer unschuldig umgefallen, das war mir ganz scheißegal. Diese gemeinen Hunde, Junge, Junge! – Ein alter Kerl, verheiratet, ich weiß nicht, vier oder fünf Kinder zu Hause, den legen sie so meuchlerisch um; da kannst du nicht mehr Rücksicht nehmen, das ist unmöglich. Wir hätten ja sämtliche Häuser angesteckt, wenn da noch ein Schuss gefallen wäre. Wir haben mit dem MG zwischen dreißig belgische Weiber gehauen. Die wollten das deutsche Verpflegungslager stürmen. Wurden sie aber fix herausgejagt.
    HAASE : Da sind die abgehauen, was?
    DIEKMANN : Nein, umgefallen sind sie alle. [227]
    Fast könnte man Diekmann nach dieser Erzählung für einen der »vielen Kumpels« halten, von denen Müller berichtet hatte, dass sie »ungeheuren Spaß« am Morden hätten, aber die Personen handeln und erzählen ganz unabhängig voneinander. Bemerkenswert an Diekmanns Erzählung ist, dass er ein persönliches Motiv für seine Mordaktionen erwähnt – die Erschießung eines »Kumpels«, dem er diese Tat zu rächen versprochen hat. Aber es fehlt jeder Transfer: Empathisch erwähnt Dieckmann die »vier oder fünf Kinder« seines erschossenen Kumpels, stellt aber keinerlei Überlegung über seine Opfer an, die völlig wahllos getötet werden. Wir wissen nicht, von welcher Anti-Partisanenoperation Diekmann hier berichtet. Freilich zeigt sich hier der übliche Verlauf, dass nach einem Einzelvorfall Soldaten »wie die Wilden« ausrasteten und wahllos Menschen umbrachten. Allerdings bedarf es oft solcher Motive und Gründe auch nicht, wenn die Männer vom Morden erzählen – der gemeinsame Erfahrungsraum der Männer macht Begründungen unnötig. Deshalb kann der erschossene Kumpel auch einfach nur ein narratives Element sein, das Diekmanns Mordgeschichte schlüssiger und interessanter macht (vgl. S. 405).
    Im Sommer 1944 eskalierte auch in Frankreich und in Belgien die Gewalt. Im Verlauf von nur drei Monaten von Juni bis September 1944 erreichte das Ausmaß der Verbrechen hier eine neue Dimension. So verwundert es nicht, dass aus dieser Zeit etliche Berichte von zügelloser Gewalt überliefert sind.
    BÜSING : Wir hatten einen Oberleutnant Landig(?), da wurde mal ein Oberjäger von uns erschossen von den Franzosen. Au, hat der Alte geflucht!
    JANSEN *: Das war jetzt hier im Einsatz?
    BÜSING : Jetzt vor kurzer Zeit war es. Da kommen wir an ... der Oberjäger war erschossen worden von Partisanen. Der Alte hat nichts gesagt, nur die Backenknochen gingen hin und her. Auf einmal hieß es: ›Alles fertig machen!‹ Da ging es auf einmal los, durch das ganze Dorf. Sagt der Alte: ›Wenn ihr Burschen einen leben lasst, mache ich [euch] auch kalt.‹ Wir in das Dorf rein. Da war alles im Schlaf, im Morgengrauen. Wir haben geklopft – nichts. Mit den Kolben rums die Türe eingehauen. Da waren die Weiber, die kurzen Hemdchen an, Nachthemden oder Pyjamas hatten sie an. ›Raus, raus‹ Mitten in den Straßen aufgestellt.
    JANSEN : Wo war denn das?
    BÜSING : Bei Lisieux-Bayeux, da oben.
    JANSEN : Das war aber dann gleich am Anfang der Invasion?
    BÜSING : Ja, sicher. Da haben wir alles umgelegt, alles hingemacht da; Männer, Frauen und Kinder aus dem Bett rausgeholt. Da kannte der kein Pardon. [228]
    Büsings Gesprächspartner ist sehr wahrscheinlich ein deutscher Gefangener gewesen, der als Spitzel für den britischen Nachrichtendienst arbeitete. Der Fallschirmjägerobergefreite Büsing schöpft keinen Verdacht und geht auf alle Nachfragen ein. Sein Erleben erscheint ihm so selbstverständlich, dass er gar nicht auf die Idee kommt, etwas zu verheimlichen. Für ihn handelt seine Geschichte also, so brutal sie ist, in einem Raum des Erwartbaren – auch bei vergleichbaren Gelegenheiten sind die Zuhörer nicht erstaunt oder gar erschüttert. Erstaunlich und grausam wirken sie anscheinend nur aus der Distanz, die man als heutige Leserin oder heutiger Leser zu Geschichten dieser Art hat. Dass nichts die Männer bei dieser Art von Gewaltgeschichten aus der Fassung bringt, spricht die

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