Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
geschwommen?“, fragte Solvejg.
„Das ist eine süße Vorstellung“, Eva lachte, „nein, sie haben für die Zeit der Fluten in Zelten oder notdürftigen Verschlägen auf dem Damm gelebt. Vermutlich auf der Ostseite, die dem Sturm abgewandt ist.“
„Warum sind sie nicht nach Hamburg gegangen? Es ist sicherer und viel bequemer dort.“
„Ich weiß es nicht. Ich würde vermuten, dass sie hier ihre Heimat gefunden haben. Einen Ort an dem sie leben wollen.“
„Aber es ist doch ein schlechter Ort“, beharrte Solvejg.
„Warte ab, bis du am Meer gewesen bist, dann weißt du, warum sie hier sind“, meldete sich Ninive verschlafen aus der Tiefe des Trucks zu Wort.
„Haben wir dich geweckt?“, fragte Eva entschuldigend.
Solvejg sah zu Ninive, die noch immer an Isaaks Schulter gelehnt auf dem provisorischen Schlaflager lag. Um ihn weiter schlafen zu lassen, löste sie sich jetzt behutsam von ihm und kam zu ihnen hinüber. Ihre blonden Strähnen waren zerzaust und ihr Blick verschlafen, doch sie schien innerlich so ruhig zu sein wie sie Solvejg bislang nicht erlebt hatte.
„Nein“, Ninive schüttelte den Kopf. „Ich bin schon vorher aufgewacht aber konnte mich nicht dazu bringen, aufzustehen.“
„Das kann ich verstehen“, entgegnete Eva und warf lächelnd einen flüchtigen Blick zu Isaak.
„Ihr habt Kinder gesehen?“
„Drei“, bestätigte Solvejg korrekt.
„Dann sind wir bald am Ziel?“
„Ich hatte offen gestanden gehofft, wir würden die Kimbrica-Station nicht bei Dunkelheit erreichen“, Eva deutete aus der kleinen Luke in die Dämmerung, die sich hier im Norden und ohne Hindernisse bis zum fernen Horizont nur langsam vollzog.
„Warten wir ab, was uns dort erwartet“, meinte Ninive offensichtlich weit weniger besorgt als Eva. „Unter Umständen kann es besser sein, nachts dort einzudringen.“
„Wir brechen dort ein?“, fragte Eva unsicher.
„Natürlich“, entgegnete Ninive. „Was hast du denn gedacht? Dass wir dort klingeln und höflich fragen, ob Sasha Bréa zuhause ist?“
„Nein, natürlich nicht“, lenkte Eva ein.
Solvejg dachte darüber nach, was sie selbst erwartet hatte, als Eva und sie sich dazu entschieden hatten, die anderen zu begleiten. Eigentlich hatte sie gar nicht weiter darüber nachgedacht, was passieren würde. Bislang war es kaum notwendig gewesen, dass sie eigene Entscheidungen und ihre Konsequenzen bedachte. Das hatte sie nur einmal getan, als sie aus dem Aljoscha-Klinikum zu Eva geflohen war. Es war die richtige Entscheidung gewesen, aber sie hatte Solvejg schwer mitgenommen.
Die Luke zur Fahrerkabine öffnete sich und Sequana kletterte hindurch, was nun auch Isaak weckte.
„Leute, Lagebesprechung!“ Sequana machte eine bestimmende Geste. „Die Strecke wird immer schlechter. Wir werden mit dem Truck zwar noch durchkommen, aber wir müssen langsamer fahren. Bertrand hat die Lichter jetzt ganz runter gedimmt. Eine Stunde später, wenn es richtig dunkel ist, sehen wir nur die nächsten zwanzig Meter der Gleise. Mehr Licht ist schlecht, wenn wir nicht von Weitem unser Kommen ankündigen wollen.“
„Wird man uns nicht trotzdem sehen? Lichter in völliger Dunkelheit?“, fragte Eva.
„Ich denke, völlig unbemerkt anzukommen können wir vergessen“, sagte Ninive, „denk an die Kinder, die uns hinterhergelaufen sind. Wir wurden bereits gesehen. Aber selbst wenn die Bewohner der alten Kolonien Teil der Children of Chou sein sollten, wie schnell kann sich die Information unserer Ankunft verbreiten? Ich glaube, wir sollten auf die großen Distanzen achten.“
„Korrekt.“ Sequana nickte. „Bertrands Vorschlag, den ich unterstütze, war, dass wir die Lichter soweit abblenden und die Geschwindigkeit verringern, dass wir in vier oder fünf Stunden am Ende des Walls ankommen. Ich gehe nicht davon aus, dass wir den Schienentruck bis zum Ende fahren können, dafür hat der Wall mit der Zeit zu starke Beschädigungen.“
„Die Kimbrica-Station liegt auf der nördlichsten Spitze des Walls, wenn die Aufzeichnungen, die mir Coolridge gegeben hat, stimmen“, mischte sich jetzt auch Isaak ein. „Da ist eine größere Erhebung nördlich der Nissum-Bucht. Ein Berg, der aufgeschüttet und befestigt wurde, kurz bevor die Flut kam. Der Wall endet einige Kilometer vorher, ab dort müssen wir auf jeden Fall zu Fuß weiter. Ob wir nachts die Senke bis zu der Erhebung, auf der die Kimbrica-Station steht, durchqueren können, müssen wir entscheiden, wenn wir dort
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