Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
Bodenkontakt.
Lilian konnte später nicht mehr so genau sagen, wie sie gelandet waren, doch sie hatte sich an ihre Simulatorübungen erinnert und das Schiff durch ein hartes Manöver mit dem Seitenruder so herumgerissen, dass es fast eine komplette Kehrtwendung gemacht hatte. Dann zündete sie die Startstufe der Triebwerke und nutzte sie zum Bremsen. Der Aufschlag auf der Oberfläche Islands war dadurch zwar noch immer schmerzhaft, aber nachdem sie einen Moment benommen und mit klopfendem Herzen im Pilotensitz gehangen hatte, sah sie alle Crewmitglieder lebendig und offenbar in der Lage noch selbst aufzustehen.
„Krasses Manöver!“, bemerkte Seamus und ließ offen, ob er das im positiven oder negativen Sinne meinte.
„Jemand verletzt?“, fragte Lilian in die Runde. Die anderen verneinten.
„Kann sich jemand den Schadensbericht ansehen?“, fragte Ilyena und deutete auf die aus der Verankerung gerissene Leiter, die hoch zu ihrem Observationspodest führte. Rasmus stand auf wackligen Beinen auf und reichte ihr die Leiter an, während Seamus die Statuslogs des Flugschreibers durchging.
„Ich weiß nicht, ob wir so wieder starten können“, meinte er schließlich. „Die Antriebe sehen in Ordnung aus, aber das Fluggestell hat ordentlich was abbekommen.“
„Wir sollten erst mal raus hier“, sagte Lumière. „Der Standort des anderen Schiffs ist keine zwei Kilometer nördlich von hier. Wir sollten uns einen Überblick über die Lage verschaffen, bevor die hier zufällig vorbeikommen und sich über das Schiffswrack wundern.“
Sie hatten sich vorsichtshalber noch die Zeit genommen, das wichtigste an Gepäck mitzunehmen – Waffen, Nahrung für längere Missionen und ähnliche Utensilien. Danach waren sie aufgebrochen. Die karge Wiese, auf der sie gelandet waren, sah aus wie ein Schlachtfeld. Sie folgten Lumières Gedächtnis einen leichten Anstieg hinauf, bis sie schließlich über eine breite Bergkuppe kamen und auf der anderen Seite hinab in ein weites Tal blicken konnten. In dessen Mitte lag ein weit auslaufender See, aus dem sich ein breiter, gigantischer Wasserfalls mehr als zehn Meter in die Tiefe stürzte. Und dort unten am Fuße des Wasserfalls erkannten sie zwei Schiffe der Children of Chou.
„Wo kommt das zweite Schiff her?“, fragte Lumière irritiert.
„Das muss schon vorher dort gewesen sein“, sagte Lilian, „in Camaret ist jedenfalls nur eins gestartet.“
„Sie laden etwas aus dem anderen Schiff aus“, sagte Seamus, „kann jemand erkennen, was das ist?“
„Es ist groß genug um den ganzen Schiffsladeraum zu füllen“, Rasmus deutete zum zweiten Schiff, dass ein Stück weiter flussabwärts stand, „was ist das?“
„Das sieht aus wie Hovertrailer“, erklärte Seamus, „große schwebende Flöße zum Lastentransfer. Für unwegsames Gelände.“
„Oder fürs Wasser“, ergänzte Ilyena.
„Da sind doch einige von ihnen direkt am Wasserfall unterwegs, was tun sie da?“, fragte Seamus verwundert.
„Ich glaube, sie wollen durch den Wasserfall hindurch“, sagte Ilyena, als wäre die Erklärung offensichtlich.
„Mit diesem großen Paket?“ Seamus sah zu Lilian, die bisher geschwiegen hatte.
„Das Paket sieht aus wie eine Statue von einem Tier, über die ein Tuch gehängt wurde“, sagte sie schließlich. „Eine sehr große Statue allerdings. Erinnert mich an ein Dinosaurierskelett.“
„Was wollen die mit einer Statue? Da muss doch mehr dahinterstecken, wenn die den ganzen Aufwand betrieben haben“, sagte Seamus.
„Das denke ich auch, und deshalb sollten wir ihnen folgen“, Lilian schulterte ihren Rucksack wieder.
„Was denn, durch den Wasserfall?“
„Zur Not auch das.“
68 | JYLLAND
Das Land nördlich von Hamburg war zerstörtes Land. Unzählige Fluten waren in den letzten Jahrzehnten darüber hinweg gezogen. Stürme hatten die Landstriche verwüstet, die von Fluten verschont geblieben waren. Einige Jahre war die kimbrische Halbinsel auf Höhe der Eider sogar komplett vom kontinentalen Festland abgetrennt. Jütland und Schleswig waren somit eine eigene Insel. Was jedoch seit seinem Bau vor siebzig Jahren Bestand hatte, war der große Wall. Nachdem zu Beginn der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts die großen Fluten langsam zurückgingen, beschloss das Ministerium für Siedlung und Landgewinnung in Hamburg das ehemalige dänische Staatsgebiet wieder für die Menschen zu erschließen und begann mit dem Bau eines gigantischen Projekts – einem
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