Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
fröstelte. Es war auch der Schlafmangel, doch Paris war über Nacht merklich abgekühlt. Ein kalter Regen hatte eingesetzt und hing nun als grauer Schleier vor der Sonne. Eine aufkommende Windböe zerrte an ihrer Kapuze und blies ihr feinen Regen ins Gesicht. Sie rückte ihren Rucksack zurecht und schob sich die Kapuze tiefer ins Gesicht, bevor sie weiterging.
Sie sehnte sich danach, schlafen zu können. Die wenigen Stunden der vergangenen Nacht, die ihr zum Schlafen geblieben waren, hatte sie in einem unruhigen Dämmerzustand verbracht. An erholsamen Tiefschlaf war nicht zu denken. Die Nacht davor hatte sie mit der Entführung von Rasmus verbracht. Eigentlich war sie seit 48 Stunden durchgehend auf den Beinen.
Es war nicht mehr weit vom anderen Ende des Parks bis zum Institut. Zwei Straßen weiter in der Rue Legendre hielt sie vor einem großen schmiedeeisernen Tor an, das eine Durchfahrt zu einem großen Innenhof versperrte, dem Square Nicolay. Sequana griff in die Tasche ihrer Jeans und beförderte eine kleine ID-Card ans Tageslicht, die sie vor eine Scanvorrichtung seitlich des Tores hielt. Es dauerte einen Moment, dann sprang das Torschloss mit einem leisen Klicken auf und sie drückte die Klinke herunter.
Der hinter dem Tor liegende Durchgang lag im Halbdunkel. Das durch Wolken und Regen gefilterte Sonnenlicht drang kaum bis hierhin vor. Sequana verlangsamte ihren Schritt und hielt inne, bevor sie in das Licht und den Regen des Square Nicolay trat. Sie stutzte. Am Ende des Hofes ragte das alte, große Gebäude auf, in dem sich das Institut befand. Und davor standen zwei große, schwarze Vans mit der Aufschrift AZ-Sec. Solange sich Sequana erinnern konnte, hatte niemals ein Sicherheitsteam den Square Nicolay und schon gar nicht das Institut betreten. Dass dies ausgerechnet an diesem Morgen der Fall war, konnte kein Zufall sein.
Sie griff erneut in ihre Tasche und zog ihr Comdevice hervor. Sie bemerkte, dass ihre Finger zitterten, als sie über den Touchscreen flogen und die ComID von Professor Doignac aufriefen. Sie hoffte, dass es nur an dem kühlen Regen und ihrer Müdigkeit lag, doch das Gefühl, dass etwas nicht stimmte nahm mit jedem Herzschlag zu. Der Professor nahm ihre Kontaktanfrage nicht entgegen. Sequana warf einen weiteren Blick hinüber zum Institut, aus dem nun zwei in schwarze Kampfanzüge gekleidete Männer kamen.
In der Hoffnung, dass sie niemand gesehen hatte, drehte sie sich um und verließ den Hof wieder durch das Tor. Sie folgte der Rue Legendre ein Stück, vorbei an Straßencafés und kleineren Läden, die von außen bei diesem Wetter jedoch allesamt wenig einladend aussahen. Was sollte sie jetzt tun? Sie konnte schlecht zum Institut gehen und darauf hoffen, dass die Security-Teams zufällig aus einem anderen Grund dort waren. Die Chance, dass ihr Gespräch der letzten Nacht mit dem Professor mitgehört worden war, war nicht gering. Dass Doignac ihren Anruf nicht entgegennahm, konnte natürlich damit zusammenhängen, dass er die Verbindung nicht für sicher hielt. Wenn es einen Ort gab, an dem sie ihn antreffen konnte, dann war es sein Appartement. Die Gefahr, dass die Security-Teams auch dort schon vor ihr waren, war nicht klein, aber eine andere Möglichkeit fiel Sequana nicht ein.
Die Sicherheitsteams waren in Paris so etwas wie eine konzernfinanzierte Polizei. Sie tauchten immer dann auf, wenn es um Vorgänge ging, die die Interessen der Regierung und ökonomischen Elite der Stadt gefährdeten. Und ihnen wurde von irgendeiner hohen Stelle in fast jedem Einsatzfall Zugriff auf alle öffentlichen Protokolle gewährt. Sequana war sich sicher, dass sie bereits auf die Überwachungsanlagen des Transitsystems zugriffen. Damit kamen die Metrobahnen für sie nicht mehr in Frage. Sie bog in die Avenue de Clichy ein und stellte sich einige Schritte weiter unter die Markise eines kleinen Imbiss', bevor sie ihr Comdevice aus der Tasche zog und dem kleinen Gerät ihr Ziel diktierte: „Magritte Parc, Place Saint-Pierre, Montmartre.“
„Immer die Straße runter, am Place de Clichy die Metro nehmen.“
Sequana zuckte zusammen und drehte sich um. Hinter der Theke des Imbiss' war ein junger Mann aufgetaucht. Sie biss sich auf die Unterlippe und versuchte zu ignorieren, dass ihr für einen Augenblick der Schreck in die Glieder gefahren war. Und dass nur, weil sie ein hilfsbereiter Mann angesprochen hatte. Sie musste dringend etwas gegen den Schlafmangel tun.
„Danke, aber ich...“, sie
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