Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
Käse und Aufschnitt aus Evas Kühlschrank waren sauber in einem ordentlichen Kreis um die hölzerne Brotschale angeordnet. Zwei gekochte Eier dampften in zwei der albernen Eierbecher, die Eva vor Jahren von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte und wie tanzende, bunte Kühe gestaltet waren.
Eva musste daran denken, wie ihre Mutter das letzte Mal hier in ihrer Wohnung gewesen war. Es war vor drei Jahren, als es ihr für ein paar Monate so gut ging, dass sie die Anstalt verlassen konnte. Sie hatte wie ein Fremdkörper am Küchentisch gesessen, die Hände nervös im Schoß vergraben, während sie sich bemühte, ihrer Tochter in die Augen zu blicken, was ihr jedoch nicht besonders gut gelang. Es war kein langer Besuch gewesen, ein gemeinsames Frühstück, ein Spaziergang durch den kleinen Park, ein Mittagessen unten am Anleger. Eva fiel auf, dass das Mittagessen eigentlich ganz schön gewesen war. Sie hatten den ganzen Vormittag gebraucht, um Anlauf zu nehmen für die letzte Stunde, bevor ihre Mutter wieder fahren musste. Ein zähes, schwer ertragbares Anlaufnehmen. Aber als sie dort im Restaurant saßen und die Speisekarte studierten, begann ihre Mutter, ein paar haarsträubende Geschichten aus der Kantine ihrer Anstalt zu erzählen. Und sie lachte dabei vorsichtig, um ihrer Tochter zu zeigen, dass sie sich nicht beschweren wollte, dass sie sich an den kleinen, skurrilen Dingen des Lebens erfreuen konnte. Eva stieg mit ein und erzählte von der Krankenhausküche. Und sie stellte fest, dass sie es selbst bitter nötig hatte, das Leben etwas lockerer zu sehen, wenn sie nicht enden wollte, wie ihre Mutter.
„Das funktioniert nicht logisch!“, beschwerte sich Solvejg und holte Eva aus ihren Erinnerungen zurück. Sie versuchte es noch einmal. Gemahlener Kaffee in den Filter, Wasser in die Kanne, Wasser in den Filter und die Kanne schnell drunter stellen, doch die braune Brühe tropfte bereits wieder auf die Arbeitsfläche. Eva lachte.
„Vom Prinzip her richtig, aber die Maschine funktioniert etwas anders“, sie ging zu Solvejg hinüber, die unglücklich auf die Kaffee- und Wasserflecken auf dem T-Shirt sah.
„Ich durfte bisher nie den Kaffee machen“, erklärte Solvejg.
Eva wusste, dass Solvejg oft in der Küche der Klinik geholfen hatte. Sie brauchte Beschäftigung, und nachdem sie das Zusammenlegen der Bettwäsche jeden Morgen nicht mehr richtig ausfüllte, fand sie beim Küchenpersonal neue Aufgaben. Die Leute aus der Küche liebten Solvejg, eigentlich galt das für alle, die nicht als Ärzte im Krankenhaus arbeiteten. Doch offenbar war sie in der Küche noch nicht soweit gewesen, dass man ihr den Kaffee anvertraut hätte.
Sie erklärte Solvejg die Funktionsweise der Maschine, während sie das Gemisch aus kaltem Wasser und Kaffeepulver aufwischte, dann setzte sie sich an den gedeckten Tisch und ließ Solvejg einen neuen Versuch starten. Die Küche war morgens Evas liebster Ort in der Wohnung. Sie lag an der Ecke des Hauses und war an zwei Seiten vollständig verglast. Von ihrer gemütlichen Kücheneinrichtung aus konnte sie durch die Nachbarschaft sehen, während das Licht – selbst an verhangenen Tagen wie diesem – kraftvoll in den Raum drang und sie einhüllte. In der Ecke der Küche, an der sich die beiden gläsernen Wände trafen, stand ein großer, gemütlicher Sessel, den Eva vor einigen Jahren, als sie in die Wohnung gezogen war, bei einem Antiquitätenhändler unten an der Elbe gekauft hatte, der sein Geschäft auflöste. Sobald sie richtig angezogen war, setzte sie sich an freien Tagen in diesen Sessel und beobachtete die Welt, die ihr dort zu Füßen lag.
Solvejg hatte die Maschine mittlerweile dazu gebracht, auf die richtige Art und Weise Kaffee zu machen. Zufrieden trat sie einen Schritt zurück und beobachtete den heißen Kaffee, der träge in die gläserne Kanne tropfte. Dann warf sie einen erneuten Blick auf das T-Shirt und rieb an den Kaffeeflecken.
„Du musst das dreckige Shirt nicht anbehalten. Ich habe dir im Bad frische Kleider raus gelegt, die müssten einigermaßen passen. Nach dem Frühstück frage ich den Portier, ob deine Sachen aus der Klinik schon gekommen sind.“ Eva richtete sich leicht auf, als Solvejg nickte und sich das T-Shirt auszog. Sie wollte der Hausanlage bereits das Kommando geben, die Scheiben abzublenden, doch ihre Patientin setzte sich bereits ins Bewegung in Richtung des Bads. Als sie an Evas Stuhl vorbeikam, hielt sie eine Sekunde inne. Eva sah unsicher zu
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