Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
dich erinnern, dass du zu mir gekommen bist? Und an unser Gespräch?“ Sie schüttelte den Kopf. Isaak nickte und fuhr fort. „Das alles hat seinen Grund. Du kamst zu mir, weil du endlich Antworten wolltest. Antworten darauf, warum wir das hier alles machen. Ich habe dir gesagt, ich werde dir Antworten geben, auf diese Fragen und auf mehr als das. Und dann ... bist du fast auf der Stelle umgekippt. Ich wusste nicht, wie du reagieren würdest, wenn du nach dieser Erfahrung alleine in deiner Kabine aufwachst, also habe ich dich vorsichtshalber in mein Bett gelegt.“
Ninive schloss die Augen. Dunkle Schemen einer Erinnerung setzten sich vor ihrem inneren Auge zusammen. Sie hatte geschlafen. Ruhig geschlafen. In ihrem eigenen Bett. Doch dann war sie wach geworden, ohne bestimmten Grund. Und die Fragen, die sie seit Tagen mit sich herumtrug, die sie immer wieder versuchte auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, drangen nun an die Oberfläche. Und sie war aus ihrer Kabine gestürmt und über die Gänge des Schiffs gelaufen.
„Danke ... schätze ich. Ich erinnere mich dunkel, dass ich nach dir gesucht habe.“
„Das hast du, und du hast ein Recht auf eine Menge Antworten, aber vorher muss ich dir etwas zeigen“, Isaak erhob sich und ging auf Ninive zu. Sie kämpfte mit dem Drang zurückzuweichen, auch als er ihr deutlich näher kam, als sie selbst in einer weniger angespannten Situation erwartet hätte. Als er nur noch wenige Zentimeter vor ihr stand, warf sie einen schnellen Blick an sich herab. Ihre Brust bewegte sich unter dem vom Schlaf noch verdrehten Tanktop durch ihr nervöses Atmen auf und ab. Sofort zwang sie sich zur Ruhe.
„Keine Sorge“, murmelte Isaak und griff mit der rechten Hand um sie herum, legte seine Hand auf ihren Rücken und fuhr entlang der Wirbelsäule hinab bis zu ihren Lendenwirbeln. Dort tasteten seine Finger über den dünnen Stoff und fanden schließlich eine Stelle zwischen zwei Wirbeln.
„Hier ist der Chip spürbar, der dich als Sangre-Kind ausweist. Menschen ohne deine Fähigkeiten haben diesen nicht. Ich denke, dass du das bereits weißt. Aber weißt du auch, dass die meisten anderen Menschen, die man Klone nennt, dort noch ein etwas größeres Implantat haben, dass man durch die Haut deutlich spüren kann?“
Ninive atmete erneut schneller, doch dieses Mal interessierte sie nicht, wie ihr Körper reagierte. Sie spürte, dass in ihrem Inneren lange vergrabene Fragen wieder aufbrachen. Fragen, die sie sich als Kind gestellt hatte, die aber nie angemessen waren. Sie wusste, dass es Unterschiede zu anderen Klonen gab, doch was genau sie anders machte, konnte sie nie erklären.
Isaaks Finger wanderten langsam ein Stück weiter zu ihrer Seite, dabei schoben sie den Saum ihres Tanktops zur Seite und tasteten auf ihrer Haut weiter, bis sie eine kleine Narbe erreichten.
„Diese Narbe ist auch eine Besonderheit. Du hast vermutlich nie erfahren, wie sie entstanden ist?“
„Ich hatte sie bereits von Anfang an, es gab wohl einige Komplikationen im Labor“, entgegnete Ninive und dachte zum ersten Mal darüber nach. Erstaunlich wie unwahrscheinlich das klang. Und sie hatte es all die Jahre einfach so akzeptiert. „Aber das macht eigentlich keinen Sinn. Die Wissenschaftler sprachen immer von unserer Geburt, als wären wir wie normale Menschen zur Welt gekommen. Dass es dabei Komplikationen gibt, das ist nachvollziehbar, aber nicht bei einer Laborzüchtung.“
„Außerdem hast du diese Narbe erst seit du etwa acht Jahre alt warst. Es ist eine Operationsnarbe, viel zu glatt und unauffällig um durch einen Unfall entstanden zu sein.“
„Operationsnarbe?“ Ninive spürte, wie ihre Knie zitterten. „Aber warum, was wurde mit mir gemacht?“
„Es ist nicht leicht, oder? Man behandelt die Sangre-Kinder immer wie Ware. Als wäre der Körper, den sie haben nur geliehen. Eine Ware, mit der man machen kann, was man will. Und ihr seid dazu erzogen, das zu glauben. Aber es ist dein Körper und dein Leben, Ninive, mit dir wurden Dinge gemacht, die man dir nicht erzählt hat. Es ist völlig okay, wenn dich das aufregt.“ Isaak führte sie mit der Hand in ihrem Rücken zu einem Sessel und bedeutete ihr, sich zu setzen. Sie nahm dankend an.
„Die Operationsnarbe entstand, als man dir den Regulator für die Neurohemmer eingepflanzt hat. Acht Jahre deines Lebens konntest du ohne Neurohemmer leben, danach ist etwas passiert, was diesen Zustand änderte. Aber das wichtigste ... du hast
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