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Soljanka (German Edition)

Soljanka (German Edition)

Titel: Soljanka (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Frost
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unterbrochen, der
die Ratssitzung eröffnete.
    »Ich stelle fest, dass Ihnen die Einladung zur Sitzung rechtzeitig
zugegangen ist und wir beschlussfähig sind. Kommen wir zur Tagesordnung. Die
Verwaltung schlägt Ihnen vor, zwei neue Punkte aufzunehmen: erstens den
zwölften Nachtrag zur Satzung über die Erhebung von Friedhofsgebühren, den
behandeln wir mal als Nummer einundvierzig A; sodann würden wir gern die
Drucksache Nummer achtundfünfzig, Bebauungsplan R235, Verhängung einer
Veränderungssperre, behandeln, ich würde sagen an einundvierzig B. Gibt es
weitere Vorschläge zur Tagesordnung? Herr Ahlemeier.«
    Der SPD -Fraktionsvorsitzende, ein etwa
sechzigjähriger, leicht übergewichtiger Mann mit einem dicken Schnurrbart im
roten Gesicht, erhob sich.
    »Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren, wir beantragen,
einen Punkt ›Russen-Hochhaus‹ wegen besonderer Dringlichkeit auf die
Tagesordnung zu nehmen. Die Presseberichterstattung der letzten Tage zu diesem
Punkt gibt uns Anlass zur ernsten Sorge um den guten Ruf unserer Stadt, und wir
finden, Herr Oberbürgermeister, dass Sie uns hier Rechenschaft schuldig sind.
Wir meinen, so kann man …«
    Kostedde schnitt ihm das Wort ab. »Danke, Herr Ahlemeier, ich habe
Ihr Anliegen verstanden. Darf ich Sie daran erinnern, dass wir uns noch in der
Tagesordnungsdebatte befinden?« Er legte ein maliziöses Grinsen auf.
»Verschießen Sie doch nicht jetzt schon Ihr ganzes Pulver! Es wird Sie
vielleicht überraschen, aber Ihr Antrag ist ganz in meinem Sinne. Da können wir
mal gründlich mit dieser erbärmlichen Räuberpistole aufräumen. Dann werden wir
ja sehen, wer hier dem guten Ruf unserer Stadt schadet.«
    In der SPD -Fraktion regte sich ein
Ansatz von Tumult. Zwei, drei Mitglieder fuchtelten aufgeregt mit den Fäusten,
einer rief: »Tagesordnungsdebatte« in den Saal.
    Kostedde beugte sich vor und fixierte ihn. »Ich kann mich nicht
erinnern, dass ich Ihnen das Wort erteilt hätte, Herr Klein. Also, wir setzen
den Punkt ›Hochhausentwicklung der Stadt‹ an vier A, damit die geschätzte
Öffentlichkeit nicht zu lange darauf warten muss. Weitere Vorschläge zur
Tagesordnung?« Er wartete ein paar Sekunden. »Das ist nicht der Fall, dann
kommen wir zum Punkt drei …«
    Stamm zog die Mundwinkel zu einem schmalen Lächeln auseinander. »Das
muss ihm der Neid lassen, so leicht lässt er sich nicht ins Bockshorn jagen«,
flüsterte er Corinna Metzger zu. Er hatte sich zu ihr gebeugt, jedoch ohne
Kostedde aus den Augen zu lassen.
    »Ja, ja«, murmelte sie.
    »Sie haben doch Ihr Ohr nah beim Chef. Was haben wir denn noch zu
erwarten?«
    »Nicht mehr«, erwiderte sie. »Hat Wanja Ihnen nicht erzählt, dass
ich versetzt wurde?«
    »Nein«, sagte Stamm überrascht. Kostedde ließ Punkt drei der Tagesordnung
abstimmen, und Stamm wandte sich ihr wieder zu.
    »Schlimm?«
    Da sie nicht sofort antwortete, folgte er ihrem Blick, den sie zur
anderen Seite der Zuschauerränge schweifen ließ. Dort entdeckte er einen alten
Bekannten. Stararchitekt Professor David Waleska rückte gerade die Beine zur
Seite, um einem Neuankömmling Platz zu machen, der sich dankend auf den Stuhl
neben ihm setzte. Ein etwa sechzigjähriger, drahtiger Mann mit modischem,
gepflegtem Zweiwochenbart, der eine ebenso modische Brille mit breitem Bügel,
Jeans, ein hellblaues Hemd und ein edles Sakko trug. Er warf einen Trenchcoat
auf die Stuhllehne und setzte sich. Auch dieser Mann kam Stamm vage bekannt
vor, aber er kam nicht darauf, ob aus Keilmeiers Rotweinrunde, aus einer
Illustrierten oder von sonst woher.
    Corinna Metzger lehnte sich zurück, beugte sich zu Wanja hinüber und
flüsterte ihm etwas ins Ohr. Wanja wartete ein paar Sekunden, dann schielte er
auch hinüber. Da sich auch Waleska gerade umsah, trafen sich ihre Blicke. Wanja
winkte ihm zu, Waleska nickte dezent, sein Blick verharrte kurz auf Stamm, der
ihm zulächelte, dann wandte sich der Architekt wieder dem Geschehen im
Sitzungssaal zu. Corinna Metzger hatte er offenbar nicht gesehen, sie wurde
vollständig von Wanjas untersetzter Statur verdeckt.
    »Unser Stararchitekt scheint sein Projekt noch nicht aufgegeben zu
haben«, flüsterte Stamm.
    »Scheint so«, sagte Corinna Metzger einsilbig.
    Stamm ließ sich nicht abwimmeln. »Glauben Sie, dass Sie Ihre
Versetzung ihm zu verdanken haben?«
    Sie zog die Augenbrauen hoch. »Wie kommen Sie darauf?«
    »Man munkelt, er sei vor ein paar Tagen bei Kostedde gewesen und
habe ihm

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