Soljanka (German Edition)
eigentlich geht.« Er ging um den
Schreibtisch herum, um auch einen Blick auf den Terminkalender werfen zu
können. »Wie sieht’s denn morgen aus?«, fragte er. »Da sehe ich nichts.«
Hanne runzelte die Stirn, dann zuckte sie die Schultern. »Morgen?
Okay, morgen sehe ich nichts. Wenn du dir schon wieder ein Wochenende kaputt
machen willst.«
»Eigentlich hoffe ich, morgen Abend wieder zurück zu sein. Wenn ich
’ne frühe Maschine nehme …«
»Du willst fliegen?«
»Ja, was denn sonst?! Mit meinem klapprigen Peugeot wäre ich doch
Hin- und Rückfahrt zwei volle Tage unterwegs.«
Die Redaktionsleiterin nahm die Brille wieder ab. »Dann versuch mal
dein Glück.«
Stamm ging ins Internet. Innerhalb von zwanzig Minuten hatte er
einen Flug mit Air Berlin um sechs Uhr vierzig ab Düsseldorf und einen Rückflug
ab Salzburg um einundzwanzig Uhr fünf gebucht und bei Europcar einen Audi A6
gemietet. Ein Golf wäre billiger gewesen, aber die siebzig Euro mehr würde sich
der Magazin-Verlag schon leisten können. Die Regularien am W.-A .-Mozart-Flughafen abgerechnet, hatte er gute zehn
Stunden zur Verfügung. Damit sollte man schon etwas anfangen können. Wenn alle
Stricke rissen, musste er eben den Rückflug auf Samstag umbuchen.
Dann googelte Stamm Dembskis letzte Anschrift und fand den Bichlnweg
nicht allzu weit von der Ortsmitte und ganz nah am Golfplatz Kitzbühel Kaps. Er
druckte einen Ausschnitt aus Google Maps in einem handhabbaren Maßstab aus und
bemühte sich danach, den mutmaßlichen Unfallort von Josef Müller zu orten. Er
war sich nicht ganz sicher, ihn gefunden zu haben, und rief sicherheitshalber
noch einmal bei der Polizei in Rosenheim an.
Er erntete keine Begeisterung für sein Anliegen, aber am Ende bekam
er eine ausreichend präzise Auskunft. Anschließend rief er noch einmal zu Hause
an, klärte Eva über seine Reisepläne auf und regte an, dass sie den nächsten
Tag bei Freunden verbringen sollte, für den Fall, dass der Stalker alle
Hemmungen fallen ließ. Eva murrte ein wenig über den Trip nach Salzburg,
weigerte sich aber standhaft, die Flucht aus ihrem Haus zu ergreifen.
»So weit kommt es noch!«
FÜNFZEHN
Bis halb vier hatte sich Frau Eichhorn noch nicht
gemeldet. Stamm musste los, wenn er den Beginn der Ratssitzung nicht verpassen
wollte. War aber nicht weiter schlimm, die Staatsanwältin hatte ohnehin nur
seine Handynummer. Stamm fuhr in die Tiefgarage am Rheinufer und schlenderte
zum Rathaus. Er war gut in der Zeit. Während er auf dem Marktplatz auf das
Standbild des Kurfürsten Jan Wellem zuging, schlug sein Handy an. Frau
Eichhorn.
»So, ich habe mir noch einmal die Akten angesehen«, sagte sie.
»Zunächst der Vergewaltigungsfall. Es gab in der Tat eine belastende Zeugenaussage gegen Rico Fenten. Die war aber ausgesprochen
substantiiert, sodass der junge Mann als dringend tatverdächtig eingestuft
worden war. Der Verdacht wurde noch dadurch erhärtet, dass sich Fenten mit
seinen eigenen Aussagen, vor allem seinen Aufenthaltsort während des
Tatzeitraums betreffend, in Widersprüche verwickelt hatte. Sein Selbstmord
wurde daraufhin als Tateingeständnis gewertet. Und ich muss sagen, an dieser
Einschätzung ist auch aus heutiger Sicht nicht zu deuteln.«
Stamm blieb vor Jan Wellem stehen. »Okay, Frau Eichhorn, so weit
kann ich folgen. Ich will das Pferd aber mal anders aufzäumen: Wenn er sich
nicht umgebracht hätte, glauben Sie, dass auf der Basis der vorliegenden
Erkenntnisse Anklage erhoben worden wäre?«
»Entschuldigung, Herr Stamm, ich werde hier ganz bestimmt keine
Hätte-wenn-und-aber-Spekulationen zu längst abgeschlossenen Fällen anstellen.«
»Aber Sie geben mir doch recht, dass gegen Fenten allenfalls
Indizien vorlagen. Ich meine, der Belastungszeuge hat ihn doch sicherlich nicht
dabei beobachtet, wie er das Mädchen vergewaltigt hat.«
Die Staatsanwältin atmete hörbar unwillig aus. »Hören Sie, Herr
Stamm, worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Sie sagten vorhin, Sie verfügten
über – wie haben Sie sich ausgedrückt? – ernst zu nehmende Hinweise, die Rico
Fenten angeblich entlasten. Was sind das für Hinweise? Ihnen ist im Übrigen
hoffentlich klar, dass Vergewaltigung ein Kapitaldelikt ist. Da dieser Fall
noch nicht verjährt ist, könnte er wieder aufgenommen werden, und dann sind Sie
verpflichtet, Ihr Wissen preiszugeben.«
»Schon mal was von Artikel fünf Grundgesetz gehört?«, fragte Stamm
in einem Abwehrreflex.
Frau Eichhorn ließ sich
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