Soljanka (German Edition)
»Das Problem ist
nur, wenn man ein Friedensangebot macht, muss man was anzubieten haben. Was
habt ihr anzubieten?«
»Genau das habe ich Keilmeier auch gefragt.« Wanja ließ die Gabel
ruhen und kaute statt auf dem Gulasch auf seiner Unterlippe. Er wirkte besorgt.
»Ich würde auch damit noch ein paar Tage warten, bis der Detektiv was
Brauchbares liefert«, sagte Stamm. »Dann könnt ihr immer noch überlegen, was
ihr damit macht. Ob ihr gleich die Medien munitioniert oder ob ihr erst mal
Kostedde damit konfrontiert.«
»So seh ich das auch«, sagte Wanja. »Ich hoffe nur, Keilmeier ist
vernünftig. Wenn der jetzt zu Kostedde geht und womöglich anfängt rumzupoltern,
könnte die Tür ein für allemal zufallen.«
Stamm ließ ihn zu Ende essen. Dann fragte er: »Hat das eigentlich
geklappt, dass der Detektiv sich ein wenig um unseren Stalker kümmert?«
»Geh ich von aus. Ich hab’s eingestielt. Aber wie gesagt, ich hab
direkt nichts von ihm gehört. Hattet ihr denn wieder schöne Nachrichten im
Briefkasten?«
»Glaub nicht. Aber gestern Abend kam Eva ein Auto verdächtig vor.
Als ich nachgesehen habe, bin ich einem Typen in die Arme gelaufen, der da
irgendwie in der Straße herumlungerte. Das kann der Stalker gewesen sein, aber
genauso gut der Detektiv. Er kann auch gar nichts mit uns zu tun gehabt haben.
Kennst du den Detektiv eigentlich persönlich? Ich meine, weißt du, wie alt er
ist, wie er aussieht?«
Wanja schüttelte den Kopf. »Ich glaub kaum, dass es Nellissen selbst
war. Aber vielleicht einer seiner Männer. Zwei solche Jobs kann man ja kaum
allein erledigen. Ich kann Keilmeier ja mal fragen.«
Stamm trank sein Alt aus und zündete sich eine Zigarette an. »Wär
nicht schlecht. Wär mir unangenehm, wenn ich jemanden anpöbeln würde, der auf
unserer Seite steht.«
SECHS
Gegen halb drei fuhr Stamm wieder auf die A 44 auf
und knüppelte seinen Peugeot in Richtung Kassel. Der Besuch beim aufmüpfigen
Priester war ein Schuss in den Ofen gewesen. Drei Kamerateams und sechs
schreibende Journalisten hatten sich im muffigen Wohnzimmer eines schmucklosen
Pfarrhauses in einem Kaff bei Paderborn gedrängt, um die pseudorebellischen
Ergüsse des baldigen Ex-Priesters zu notieren. Dessen Klage hatte sich immer
wieder gegen den Erzbischof gerichtet, der ihn wegen seiner Heirat von seinen
Aufgaben entbunden hatte. Stamm hatte sich mit der Frage unbeliebt gemacht, ob
in dem Umstand, dass sich der Bischof an die Gesetze der katholischen Kirche
gehalten hatte, tatsächlich ein Skandal zu sehen sei. Als auch nach der fünften
Fragerunde die Substanz der Geschichte nicht über den Vorwurf der Feigheit vor
dem Papst hinausgekommen war, hatte Stamm das Haus verlassen und in der
Dorfgaststätte ein Schnitzel gegessen.
Auf der Autobahn versuchte er, Zeit gutzumachen. Hinter Kassel
standen ihm noch hundert Kilometer Landstraße durch die Hügel des Eichsfeldes
bevor. Erst in der beginnenden Dämmerung näherte er sich Nordhausen. Er rief
Erika Dembski an und kündigte seine Ankunft im Café für Viertel nach fünf an.
Die allmählich untergehende Sonne erlaubte einen Blick auf die Ausläufer des
Harzes. Stamm kurvte eine Weile durch die Stadt, deren Entwicklung in den
letzten Jahrzehnten sich ihm schnell erschloss. Während der DDR -Zeit hatte sich Nordhausen unschön in der Ebene
ausgedehnt, während die malerische Altstadt am Hang zunehmend verfallen war.
Inzwischen waren die windschiefen Häuser in den engen Gassen bemerkenswert
geschmackvoll restauriert worden. Nordhausen spielte seine Trümpfe wieder aus.
Obwohl Erika Dembski ganz anders aussah, als Stamm sie sich
ausgemalt hatte, hätte er sie auch ohne die rote Strickjacke und den Schnaps
auf dem Tisch sofort erkannt. Sie saß an einem Tisch am Fenster und musterte
Stamm mit einem eindringlichen, neugierig-nervösen Blick, sobald dieser das
Café betreten hatte. Sie musste Ende fünfzig sein, sah aus der Entfernung aber
jünger aus. Ihre Garderobe verriet einen Sinn für unauffällige Eleganz, ihre
blonde Kurzhaarfrisur saß perfekt, sogar die kecke Strähne, die ein wenig in
die Stirn fiel, nahm ihre Position zweifellos nicht zufällig ein. Eine immer
noch attraktive Frau, die auch ihre Figur, so weit man das im Sitzen beurteilen
konnte, in Schuss hielt. Als Stamm an den Tisch trat, erkannte er freilich,
dass sie zu viel Make-up aufgetragen hatte, vermutlich um ein paar Falten um
Mund und Augen sowie die zu stark geöffneten Poren zu verdecken. Aus der
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