Soljanka (German Edition)
Nähe
betrachtet, konnte Erika Dembski ihr Alter nicht verleugnen. Und auch nicht den
Umstand, dass sie gelegentlich, vielleicht auch regelmäßig, einen Schluck nahm.
»Frau Dembski?« Als sie nickte, reichte er ihr die Hand. »Hans
Stamm.«
Er zog seine Jacke aus, hängte sie über die Lehne eines Stuhls
gegenüber von Erika Dembski und setzte sich.
»Schön ist das hier«, sagte er mit einer vagen Handbewegung in
Richtung Fenster. »Ich bin kurz nach der Wende mal durch Nordhausen gekommen.
Damals war die Altstadt eine Ruinenlandschaft. Eine Schande, wie die Bonzen in
der DDR ihr Land haben verkommen lassen.«
»Ja, da haben Sie leider recht«, sagte Erika Dembski tonlos.
Es war nicht herauszuhören, ob ihr Ausdruck des Bedauerns nur eine
Floskel oder eine Anspielung auf ihren verstorbenen Mann war, der als
ausgewiesener SED -Bonze den Niedergang
schließlich in gewisser Weise mit zu verantworten hatte.
»Was hat Sie denn als Mecklenburgerin hierher an den Fuß des Harzes
verschlagen?«
»Ich bin erst nach meiner Heirat nach Waren gezogen«, sagte sie
kühl. »Eigentlich bin ich Thüringerin. Ich bin also nach Hause zurückgekehrt.«
»Ach so.« Die ungeduldige, fast abweisende Art, wie Erika Dembski
ihren Umzug erklärt hatte, ließ Stamm seinen Versuch, sie per Smalltalk ein
wenig auszufragen, abbrechen. Sein Blick schweifte über das eng bestuhlte und
erstaunlich voll besetzte Café. Auch an zwei Nachbartischen in nicht einmal
zwei Metern Entfernung saßen Gäste.
»Wir wollten uns ja über Angela unterhalten, Frau Dembski, aber ich
weiß ehrlich gesagt nicht, ob dies die richtige Umgebung ist.« Er hatte die
Stimme gesenkt.
»Sie wollten sich in einem Café treffen.«
»Ich weiß, ich weiß, aber ich dachte, es wäre, nun ja, etwas
diskreter.«
Erika Dembski sah sich nun auch unauffällig um. Dann richtete sie
ihren Blick auf Stamm. »Würden Sie mir Ihren Presseausweis zeigen?«
»Natürlich.« Er holte sein Portemonnaie aus der Jacke und gab ihr
den Ausweis.
Sie wendete ihn ein paarmal zwischen den Fingern, dann gab sie ihn
ihm zurück. »Wir können auch zu mir nach Hause gehen. Ist vielleicht wirklich
besser.«
Stamm nickte.
Erika Dembskis Wohnung befand sich in einem restaurierten
Fachwerkhaus. Aus der Anzahl der Türen in der Diele schloss Stamm auf drei
Zimmer, Küche, Bad. Sie lotste ihn in ein höchstens zwanzig Quadratmeter großes
Wohnzimmer, das außer mit einer Essecke nur mit einem zweisitzigen Ledersofa,
einer Stehlampe, einem Fernseher und einer kleinen Regalkombination möbliert
war. In dem Regal standen ein paar Bücher, zwei Dutzend CD s
und zwei Vasen mit frischen Blumen. Praktisch, unpersönlich und teuer.
Erika Dembski bot Stamm einen Platz am Esstisch an, von wo aus er
durch eine offene Tür in die Küche blicken konnte. Die moderne, blitzsaubere
Edelstahl-Einbauküche verfestigte Stamms Eindruck, dass Erika Dembski ihre
Wohnung ohne allzu großes Interesse eingerichtet hatte. Und dass sie nicht
jeden Cent umdrehen musste.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie.
»Wenn’s nicht zu viele Umstände macht … ich würde viel für einen
Kaffee geben.«
Erika Dembski zuckte die Schultern, bat ihn, am Tisch Platz zu
nehmen, und ging in die Küche. Stamm folgte ihrer Aufforderung nicht,
schlenderte stattdessen im Zimmer umher und nahm die Umgebung auf. Am Regal
blieb er stehen, betrachtete die Bücher- und CD -Rücken.
Wahllos zusammengekaufter oder -geschenkter Klassik-Mainstream, Tolstoi,
Fontane, Goethe, ein paar Landschaftsbildbände auf der einen Seite, Best of
Bach, Mozart und Wagner auf der anderen.
Der einzige persönliche Gegenstand war ein gerahmtes Foto. Eine
junge, strahlend schöne Erika Dembski mit ihren Töchtern an der Hand auf einem
Bootssteg vor Seerosenkulisse. Er erkannte Angela sofort, obwohl sie auf dem
Bild kaum älter als zehn sein konnte und ein freches Lachen zeigte. Ihre langen
Haare waren heller als heute, aber die Gesichtszüge hatten sich kaum verändert.
Sie war dünn und hoch aufgeschossen, genau so groß wie ihre ältere Schwester,
die unter ihren dunklen Locken mit zusammengekniffenen Augen ernst in die Weite
blickte. Auch Birgits Gesicht kam ihm vage bekannt vor. Er deckte die
dominierenden Haare mit den Fingern ab. Eine Ähnlichkeit mit ihrer Schwester
und ihrer Mutter war unverkennbar. Stamm suchte das Regal mit den Augen ab,
aber ein Bild von Ulrich Dembski gab es nicht.
»Der Kaffee läuft.« Erika Dembski stand zwischen
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