Soljanka (German Edition)
Küchentür und Tisch
und sah Stamm an.
»Ich nehme an, das Mädchen mit den dunklen Haaren ist Birgit«, sagte
Stamm. »Angela ist eindeutig zu erkennen.«
Erika Dembski nickte langsam.
Stamm ging zum Tisch und zog einen Stuhl vor. »Wann haben Sie Angela
zuletzt gesehen?«, fragte er.
»Vor neun Jahren«, erwiderte sie, ohne überlegen zu müssen.
Stamm zog die Stirn in Falten. »So lange her? Aber Sie sind doch …
Warten Sie, wann sind Sie aus Waren weggezogen? Das kann doch nach meiner
Rechnung höchstens sieben Jahre her sein.«
Sie nickte. »Ja, aber Angela wohnte schon länger nicht mehr bei
uns.«
»Ich weiß schon«, sagte Stamm, »sie wohnte bei Thilo Bach, aber sein
Bauernhof liegt doch ganz in der Nähe von Waren.«
Sie sah ihn einen Moment schweigend an, dann murmelte sie: »Ich glaube,
der Kaffee ist durch«, und ging in die Küche.
Stamm setzte sich und beobachtete durch die geöffnete Tür, wie sie
mit dem Kaffeegeschirr hantierte. Er wartete, bis sie zurückgekehrt war,
eingeschenkt und sich ihm gegenüber gesetzt hatte.
»Und Birgit?«, fragte Stamm, während er Zucker in seine Tasse
rieseln ließ.
Ihre Miene verdüsterte sich. Dann verzog sie die Mundwinkel zu einem
fatalistischen Lächeln. »Noch ein paar Jahre länger.«
»Das ist hart«, sagte Stamm. »Ist das der Grund, warum Sie kein Foto
von Ihrem verstorbenen Mann hier stehen haben? Geben Sie ihm die Schuld?«
Noch bevor er seine Frage ganz ausgesprochen hatte, merkte er, dass
er überzogen hatte. Erika Dembski warf ihm einen unverhohlen misstrauischen
Blick zu.
»Dafür, dass wir uns soeben erst kennengelernt haben, stellen Sie
sehr persönliche Fragen. Erwarten Sie wirklich, dass ich Ihnen darauf
antworte?« Sie schüttelte den Kopf, um ihre Missbilligung zu unterstreichen.
»Ich würde es doch für ein Mindestgebot der Höflichkeit halten, dass Sie mich
über Ihre Absichten aufklären.«
Stamm drehte sofort bei. »Sie haben völlig recht, ich muss mich
entschuldigen. Meine Absichten – tja, wenn ich die mal selbst so genau kennen
würde. Im Moment versuche ich, ein paar Informationen zusammenzutragen, von
denen ich aber noch nicht weiß, ob sie am Ende eine Geschichte für das Magazin
ergeben werden. Fakt ist, dass Angela durch einen Artikel, der vor einigen
Wochen bei uns erschienen ist, auf mich aufmerksam geworden ist und dass sie
ihre Therapeutin gebeten hat, Kontakt mit mir aufzunehmen. Ich bin also nach
Waren gefahren, und sie hat mir dabei ein Erlebnis aus ihrer Jugend erzählt.
Eine ganz schreckliche Geschichte, muss ich sagen.«
Erika Dembski bemühte sich, seinem forschenden Blick standzuhalten,
aber sie hatte ihre Gesichtszüge nicht unter Kontrolle. Sie blinzelte
fortwährend, und sie hatte die Lippen zu einem schmalen Strich
zusammengepresst.
»Ich nehme an, Sie ahnen, was ich meine«, fuhr Stamm fort. Erika
Dembski reagierte nicht. »Die Tötung ihres Babys.«
Ihr Blinzeln wurde schneller, während sie starr dasaß. Eine Träne
floss an der Nase entlang hinunter. Erika Dembski tupfte sie mit dem Finger ab,
als sie die Oberlippe erreicht hatte. Stamm beobachtete sie mit einer Mischung
aus Mitleid und Neugier. Die Traurigkeit in ihrem Gesichtsausdruck irritierte
ihn. Nicht, weil sie da war, sondern wegen der Art, wie sie sich äußerte. Da
war kein Erschrecken über die Ungeheuerlichkeit dieser vier Worte, auch keine
Verzweiflung über die Unumkehrbarkeit einer Tragödie, an die man plötzlich
wieder erinnert wurde. Erika Dembski kam Stamm vielmehr unendlich enttäuscht
vor, ganz so, als sei eine große Hoffnung zerplatzt.
Stamm ließ ihr Zeit. Als jedoch das Schweigen allmählich seine
Spannung zu verlieren begann, nahm er den Faden wieder auf.
»Angela hat berichtet, wie sie in einem grausamen Ritual erst ihr
Kind geboren hat und dann von maskierten Satansjüngern gezwungen wurde, es
regelrecht abzuschlachten.« Er unterbrach sich, weil Erika Dembski anfing zu
nicken. »Sie wissen offenbar, was ich meine. Dann kann ich uns ja weitere
Einzelheiten ersparen. Sie werden aber verstehen, dass mich so eine
ungeheuerliche Geschichte interessiert. Zumal wenn ihr eigener Vater, der auch
noch ein schillernder SED -Bonze war, der
Haupttäter sein könnte.«
Darauf war sie nicht vorbereitet.
»Was sagen Sie da?«, stammelte sie. »Das hat Ihnen Angela erzählt?«
Sie starrte ihn an.
Stamm ließ sie ein wenig zappeln, starrte mit hochgezogenen Brauen
zurück. »Der Verdacht liegt doch auf der Hand«, sagte er
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