Soljanka (German Edition)
schließlich. »Hat er
sich nicht deshalb aus dem Staub gemacht? Weil ihm die Staatsanwaltschaft auf
die Spur zu kommen drohte?«
Erika Dembski schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, sagte sie
nachdrücklich. »Mein Mann hatte sicherlich seine Gründe wegzugehen, wohl auch
nicht unbedingt ehrenwerte Gründe. Aber das, was Sie da andeuten … nein.«
»Weshalb ist er denn weggegangen? Dass die Staatsanwaltschaft gegen
ihn ermittelt hat, ist ja unbestreitbar.«
»Dagegen sage ich ja auch nichts. Es gab Ermittlungen, aber die
hatten mit seinen Geschäften zu tun. Nach Einzelheiten dürfen Sie mich aber
nicht fragen, ich habe nicht die geringste Ahnung, was mein Mann getrieben
hat.«
»Nun, nach meinen bisherigen Informationen hat es auch eine Anzeige
gegen Ihren Mann wegen sexuellen Missbrauchs seiner Tochter gegeben.«
Sie sah ihn mit einer Mischung aus Unsicherheit und Trotz an. »Das
ist mir völlig neu. Ich glaube es auch nicht.«
»Was? Dass es die Anzeige gab oder dass Ihr Mann Angela missbraucht
hat?«
Erika Dembski wusste erkennbar nicht, was sie darauf sagen sollte.
Sie nippte an ihrem Kaffee. »Wer soll ihn denn angezeigt haben?« Sie wirkte
wieder ängstlich.
Stamm schürzte die Lippen. »Vielleicht Angela selbst?«
Das war offensichtlich die Variante, vor der Erika Dembski sich
fürchtete. Sie schüttelte wieder den Kopf, aber es wirkte nicht überzeugt.
»Was macht Sie so sicher?«, fragte Stamm trotzdem.
Erika Dembski stand plötzlich auf und verließ das Zimmer. Nach zwei
Minuten kehrte sie zurück und warf eine Packung Lord Extra auf den Tisch. Sie
ging in die Küche und kam kurz danach mit einem Aschenbecher, einer Flasche
Smirnoff-Wodka und zwei Gläsern zurück.
»Möchten Sie einen?«, fragte sie, indem sie auf die Flasche zeigte.
Stamm überlegte kurz und nickte. Sie füllte beide Gläser, dann
setzte sie sich und zündete sich eine Zigarette an. Sie kippte den Schnaps
hinunter, dann stützte sie sich mit den Ellbogen auf die Tischkante und sah
Stamm an.
»Hören Sie, ich habe seit neun Jahren keinen Kontakt mehr zu meiner
Tochter. Ich weiß nicht, was in dieser Zeit mit ihr passiert ist. Ich habe
deshalb auch keine Ahnung, was sie über meinen Mann … oder vielleicht auch über
mich erzählt. Ich will auch nicht ausschließen, dass sie meinen Mann angezeigt
hat. Was ich aber weiß, ist, dass mein Mann sie nicht missbraucht hat. Und ganz
sicher hat er sie nie dazu gezwungen, ihr Baby abzuschlachten. Aus dem
einfachen Grund, weil es dieses Baby nicht gegeben hat.«
Stamm zog die Stirn in Falten. »Als ich vorhin diese schreckliche
Szene erwähnt habe, hatte ich aber schon den Eindruck, als wüssten Sie, wovon
die Rede ist.«
»Natürlich«, sagte sie. »Natürlich wusste ich das. Ich könnte diese
furchtbare Geschichte Wort für Wort wiedergeben. Aber sie ist nie passiert.
Verstehen Sie, das alles hat sich nur in Angelas Phantasie abgespielt. Deshalb
war ich ja vorhin so furchtbar … wie soll ich sagen … enttäuscht. Sie können
sich nicht vorstellen, wie deprimierend es ist, dass sie nach all den Jahren
immer noch in diesem schrecklichen Alptraum feststeckt.«
Stamm sah sie forschend an, konnte in ihrer Miene aber kein Zeichen
von Zweifel entdecken.
»Frau Dembski«, fragte er schließlich, »wissen Sie, was eine
posttraumatische Störung ist?«
»Ich kann es mir denken.«
»Das ist das, woran Angela leidet. Eine psychische Erkrankung, die
durch ein traumatisches Erlebnis verursacht wurde. Angelas Therapeutin ist fest
davon überzeugt, dass der Zustand Ihrer Tochter auf ein solches Ereignis
zurückzuführen ist. Und dass es ein besonders schockierendes Erlebnis war. Das
klingt für mich sehr überzeugend. Ihre Tochter hat es in all den Jahren nicht
geschafft, darüber hinwegzukommen. Ist es nicht doch möglich, dass Sie sich
irren?«
Sie schenkte sich noch einen Wodka ein, verschloss die Flasche
wieder, nachdem Stamm die Hand abwehrend über sein Glas gehalten hatte, und
zündete sich eine Zigarette an.
»Nein«, sagte sie schließlich bestimmt.
Er sah sie ratlos an. »Heißt das, Sie halten die Diagnose für
falsch? Glauben Sie wirklich, dass Sie …«
»Nein. Ich halte die Diagnose nicht für falsch. Ich weiß sogar
genau, dass sie richtig ist. Es gab ein solches traumatisches Erlebnis. Aber
ein ganz anderes.«
»Nämlich?«, fragte Stamm, nachdem er eine Weile vergeblich darauf
gewartet hatte, dass Erika Dembski konkret wurde.
»Ich weiß nicht, ob es richtig ist,
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