Soljanka (German Edition)
Elternzeitschrift, in der ultimative
Ernährungstipps für die Schwangerschaft versprochen wurden, erregten Stamms
Aufmerksamkeit für ein paar Minuten – bis er sich davon überzeugt hatte, dass
sich die Empfehlungen in den üblichen Schlagworten wie »Vitamine«,
»Ballaststoffe«, »ausgewogen« erschöpften und er sie ohne Erkenntnisverzicht
den anderen PR -Mails hinterherschicken konnte.
Er wandte sich vom Rechner ab, nahm Papier und Kugelschreiber zur
Hand, versuchte, seine Geschichten zu strukturieren und vor allem, die nächsten
Schritte zu planen. Er wartete auf Informationen von Korn und Lothar Rosenblatt
über van Wateren, vergaß im gleichen Zusammenhang auch nicht die
Staatsanwaltschaft Neubrandenburg und die wenig versprechende Nachfrage zu den
Ermittlungen im Suizidfall Rico Fenten.
In der Hochhausbau-Sache kam Stamm nach reiflicher Überlegung zu dem
Schluss, dass Kostedde jetzt am Zug war. Es sei denn, dass Korn den Mord am
Privatdetektiv Nellissen auf eine Weise löste, die Fahrt in die Angelegenheit
brachte. Stamm beschloss, vorläufig nichts weiter zu unternehmen als ab und zu
mit Wanja zu telefonieren, um seinen Wissensstand atmosphärisch upzudaten. Am
Rand notierte er noch die Stichworte »Birgit Dembski« und »Kitzbühel« mit
Fragezeichen. Die Probleme waren unterschiedlich gelagert.
Bei der Tochter des Ex-KoKo-Mannes fiel ihm auf Anhieb ein ganzes Bündel
von Fragen ein, die er ihr gern gestellt hätte, aber kein Weg, wie er sie
ausfindig machen konnte. In Österreich dagegen könnte man sich schon an
Ansprechpartner herantasten, doch wonach sollte er eigentlich fragen? Dembski
war tot, Müller auch, das Gespräch mit Annerose Müller, so interessant es
zunächst schien, führte bei genauer Betrachtung in eine Sackgasse.
Um sich die Zeit bis zur Ankunft der Kollegen zu vertreiben,
ergoogelte er sich trotzdem einen Überblick über die Verwaltungs- und Polizeistruktur
in Salzburg und Tirol. Während Salzburg mit einiger Wahrscheinlichkeit für
Kaprun und das Bergbahnunglück zuständig war, dürfte Müllers Unfall eher in
Tirol passiert sein. Wenn nicht sogar in Deutschland. Der kürzeste Weg von
Salzburg nach Kitzbühel führte durch das Berchtesgadener Land. Wo er schon
einmal dabei war, schickte er E-Mails an die Pressestellen des
Polizeipräsidiums Oberbayern Süd in Rosenheim und des Landespolizeikommandos
Tirol in Innsbruck, in denen er sich nach einem tödlichen Verkehrsunfall am 4. Dezember
2000 erkundigte.
Er war gerade fertig, als Christa Kümmel vorsichtig den Kopf zur
Redaktionstür hereinsteckte.
»Hast du mir einen Schrecken eingejagt. Ich dachte schon, ich würde
Einbrecher auf frischer Tat überraschen.« Sie kam herein und ließ die Tür
hinter sich zufallen.
Stamm verschanzte sich hinter dem Sportteil der Tageszeitungen, bis
Hanne Lohmeyer und Werner Meister eintrafen, und ließ Christa Kümmel den Kaffee
für die Redaktionskonferenz vorbereiten. Sie hätte sich die Arbeit fast sparen
können.
Hanne nahm sich nach ihrem Eintreffen kaum die Zeit, ihren Rechner
hochzufahren. Sie eröffnete die morgendliche Runde noch während sie ihre Jacke
über die Stuhllehne warf. Sie musste gleich los zu einem Interviewtermin mit
dem Wissenschaftsminister. Werner war auf dem Sprung nach Bochum, wo der Besuch
des neuen Europachefs von General Motors wieder einmal eine entscheidende Wende
im Opel-Trauerspiel versprach.
Da wollte auch Stamm den Betrieb nicht aufhalten und lieferte nur
einen stenografischen Reisebericht ab. Hanne entschied, dass Stamms Geschichten
Zeit hätten, und schickte ihn zur Uni, um eine angekündigte Hörsaalbesetzung zu
beobachten. Er sollte Hanne bei ihrem fest eingeplanten Stück über die
Situation an den Hochschulen mit Live-Impressionen zuarbeiten.
Stamm brauchte zehn Minuten, um von der Redaktion zur
Heinrich-Heine-Uni zu fahren, und eine weitere halbe Stunde, um einen Parkplatz
zu finden und sich bis zum besetzten Hörsaal durchzufragen. Einige hundert
Menschen standen vor den Türen herum, die Hälfte Studenten, die andere
Polizisten in Einsatzmontur. Das sah gefährlich aus, doch die Aktion lief
ruhig, fast heiter ab. Die meisten Besetzer hatten den Hörsaal freiwillig
verlassen und diskutierten nun über das Ergebnis der Aktion. Der Rektor hatte
eine Erklärung herausgegeben, in der er sich mit den Studenten bei ihren
Forderungen nach anständiger Bildung solidarisierte. Eine Kommission sollte den
Wert von Bachelor-Studiengängen untersuchen,
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