Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
teilgenommen hat, soll bitte gehen.«
Ein weiterer großer Teil der Anstehenden zieht murrend ab. Drei Stunden später öffnet sich wieder die Tür. »Genossen, wir haben Fleisch, aber es reicht nichtfür alle. Wer nicht am Sturz des Zarismus beteiligt war, soll bitte gehen.«
Es bleiben nur noch drei halb erfrorene alte Männer übrig. Zwei Stunden später geht erneut die Tür auf. »Genossen, leider gibt es heute überhaupt kein Fleisch mehr.« Die drei Alten gehen grummelnd nach Haus, und einer sagt: »Seht ihr, die Juden kommen immer am besten weg.« Eben das auserwählte Volk, im Guten wie im Bösen.
Bel Kaufman, die Enkelin des großen jiddischen Erzählers Scholem Alejchem, gibt mit ihren immerhin 101 Jahren noch Kurse über jüdischen Humor an US -Colleges. Sie sagt: »Wir haben zu ergründen versucht, warum so viele amerikanische Humoristen und Komiker jüdischer Herkunft sind. Juden wurden so viele Jahre verfolgt, dass sie irgendwann begonnen haben, über sich selbst Witze zu machen, eine Art sozialer Verteidigungsmechanismus. Bevor du mich geizig nennst, werde ich dir erzählen, wie geizig ich bin.
Man lacht über sich selbst, so entwaffnet man seine Gegner. Ein Beispiel:
Ein Franzose, ein Deutscher und ein Jude gehen in eine Bar.
Der Franzose sagt: ›Ich bin müde und durstig, ich muss einen Wein haben.‹
Der Deutsche sagt: ›Ich bin müde und durstig, ich muss ein Bier haben.‹
Der Jude: ›Ich bin müde und durstig, ich muss Diabetes haben.‹«
Auch aus der KZ -Zeit sind Witze überliefert.
Der Kommandant sagt zu einem Häftling, er würde eine Ration Brot bekommen, wenn er erraten könne, welches seiner beiden Augen ein Glasauge ist. Der Häftling schaut ihn an und sagt rasch: »Das rechte.« Der Kommandant: »Wie hast du das herausgefunden?« Der Häftling: »Es guckt so menschlich.«
Von Werner Finck, der es gegen die Nazis mit der Wirkung seines eher leisen Humors versuchte, sind die folgenden Geschichten überliefert:
Werner Finck im Kabarett: »Ich stehe hinter jeder Regierung, bei der ich nicht sitzen muss, wenn ich nicht hinter ihr stehe.«
Darauf ruft ein Zuschauer, offenbar ein Nazi: »Sie sind wohl Jude?«
Finck antwortet: »Nein, ich sehe nur so intelligent aus.«
Und als er einmal sah, dass ein Nazispitzel in der Vorstellung mitschrieb, fragte er: »Soll ich langsamer sprechen, damit Sie mitkommen? Oder soll ich gleich mitkommen?«
Jüdische Witze handeln davon, dass sie die Religion, die sie zum auserwählten Volk macht, bezweifeln. In Lessings Ringparabel aus dem Nathan hat Gott den drei Religionsstiftern, Moses, Jesus und Mohammed, je einen Ring gegeben, wovon nur einer echt ist. Der ist aber nicht zu erkennen. Und so lässt Lessing an die drei die Aufforderung ergehen, sie möchten durch die tätige Ausübung ihrer Religion beweisen, wer den echten Ring besitze.
Sie finden heraus, dass der Vater sie betrogen hat. Nur einer von ihnen hat einen echten Ring. Sie rufen »Betrug!« und gehen zu einem Richter. Der soll entscheiden. »Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring an den Tag zulegen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott zu Hilfe! Und wenn sich dann der Steine Kräfte bei euren Kindeskindern äußern: so lade ich über tausend Jahre sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird ein weiserer Mann auf diesem Stuhle sitzen als ich; und sprechen. Geht! – So sagte der bescheidene Richter.«
Jüdische Witze von den drei Religionen holten diese erhabene Parabel Lessings zurück auf den Boden:
Ein Priester, ein Imam und ein Rabbi diskutieren, was ihre Gemeinden wohl tun würden, wenn eine neue Sintflut die Erde überschwemmte.
»Wir würden zu Gott beten, dass er uns retten möge«, sagt der Priester.
»Wir würden unser Schicksal als Kismet annehmen und zu Allah aufsteigen«, meint der Imam.
Und der Rabbi sagt: »Wir würden lernen, unter Wasser zu leben.«
Die Witze von den Religionen und ihrem Wettstreit sind im jüdischen Witz legendär. Immer wieder wird die Ringparabel Lessings auf ihren praktischen Gebrauch hin ausgespielt und untersucht. Ich verdanke Jurek Becker, dem Verfasser von Jakob der Lügner und Liebling Kreuzberg , die folgende Bekehrungsgeschichte:
Einen Tag vor seinem achtzehnten Geburtstag erklärt der Sohn seinem orthodoxen Vater, er habe sich entschlossen, zum Christentum überzutreten. Der Vater
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