Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
berufen.
»Aber«, fuhr Mayer fort und wandte sich an mich wie an jeden ihm bewundernd Zuhörenden, »ich rede ja ununterbrochen nur von mir. Nun zu Ihnen, lieber Herr Karasek, wie hat Ihnen mein neues Buch gefallen?«
Auch dies ist eine Wanderanekdote. Marcel Reich-Ranicki hat sie mir zuerst von Stanisław Lem erzählt. Da bricht sich der ungeheure Stolz und das Selbstbewusstsein in einer selbstironischen Pointe, die Aggression richtet sich also auch gegen sich selbst.
Oft ist dumme, brutale Übermacht stärker als der stärkste Witz. Ihre geistige Überlegenheit haben die Verfolgten witzig und geschickt getarnt, zum Beispiel in den Witzen der Emigration, als sie von Hitler vertrieben wurden und die meisten nicht einmal ahnten, dass sie ausgelöscht werden sollten. Nun der Witz aus New York:
Ein Emigrant besucht den anderen in seiner neuen Behausung und stellt fest, dass der ein Hitler-Bild in seinem Zimmer hängen hat.
Sagt er: »Bist du meschugge, hängst dir den Führer hin?«
Sagt der andere: »Das ist gut gegen Heimweh.«
Nachdem Hitler besiegt war, wurde Billy Wilder zwischen 1945 und 1946 als Offizier in der US -Militärregierung nach Deutschland geschickt und war dort auch für das »kulturelle Leben«zuständig. So wurde er mit einem Gesuch konfrontiert, mit dem um die Genehmigung gebeten wurde, die Oberammergauer Festspiele wieder stattfinden zu lassen. Als er ein bisschen recherchierte, wurde ihm klar, dass der letzte Jesus-Darsteller wie fast alle anderen Schauspieler Nazi gewesen war. Bei der NSDAP oder SA , sogar bei der SS . Die Festspieldirektion fragte also bei den Amerikanern an, ob er denn trotzdem den Jesus in dem Passionsspiel geben dürfe. Billy Wilder antwortete: »Sie dürfen spielen, aber nur unter einer Bedingung: dass Sie richtige Nägel benutzen.«
Wie gesagt, die Juden belassen es beim Witz. Er ist ihre stärkste Waffe. Sie zerstören ihn nicht durch Ausübung. Über seine ehemals geliebte Heimat Österreich drehte Billy Wilder die kitschig-sarkastische Operette Kaiserwalzer , über seine Landsleute sagte er den Satz: »Die Österreicher haben das Kunststück fertiggebracht, aus Beethoven einen Österreicher und aus Hitler einen Deutschen zu machen.« Obwohl er es eigentlich deswegen verdient hätte, wurde er im Jahr 2000 trotzdem Ehrenbürger von Wien. Obwohl er die Alzheimer-Krankheit als Waldheimer-Krankheit bezeichnet hat. Waldheim war der Präsident Österreichs, der ganz vergessen hatte, dass er auf dem Balkan und in Griechenland in die Partisanenbekämpfung und Judenvernichtung verwickelt war. Nachgewiesen ist ihm die Mitgliedschaft in der Reiter- SA ; ein witziger österreichischer Politiker, ich glaube, es war Sinowatz, hat damals gewitzelt, es könne niemand dafür belangt werden, dass sein Pferd in der SA war.
Broders Satz, dass die Deutschen den Juden nie Auschwitz verzeihen würden, hat eine Wurzel in der psychologischen Erkenntnis Nietzsches: »›Das habe ich getan‹, sagt mein Gedächtnis. ›Das kann ich nicht getan haben‹, sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich.« Freud nannte das Verdrängung, Deutschland später Vergangenheitsbewältigung. Damals kursierte folgender Witz in Deutschland:
Sagt ein jüdischer Freund zu seinem deutschen Freund: »Du, ich muss auch auswandern.«
»Warum musst du denn auswandern?«, fragt der.
»Weil es wieder losgeht.«
»Was geht wieder los?«
»Na, alles. Gegen die Juden und die Friseure.«
Darauf sein deutscher Freund: »Wieso gegen die Friseure?«
»Siehst du, genau wegen dieser Frage muss ich auswandern!«
Dies ist übrigens ein Wanderwitz, der in allen Verfolgungen und Pogromen im zaristischen und im kommunistischen Russland auftauchte. Davon handelt auch die folgende Geschichte aus der Planwirtschaft des real existierenden Sozialismus. Ich verdanke sie Ben Lewis und seinem Buch Das komische Manifest .
Es ist Winter. Man munkelt, dass es eine Fleischlieferung geben wird. Simpsonowitsch stellt sich früh am Morgen vor dem Metzger in einer langen Schlange an. Drei Stunden später öffnet sich die Ladentür endlich, und der Geschäftsführer ruft den Anstehenden zu: »Genossen, wir haben Fleisch, aber es reicht nicht für alle. Die Juden sollen bitte gehen.« Herr Simpsonowitsch räumt mit etwa der Hälfte der Anstehenden das Feld. Zwei Stunden später öffnet sich die Tür erneut. »Genossen, wir haben Fleisch, aber es reicht nicht für alle. Wer nicht am Großen Vaterländischen Krieg
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