Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
Gasthaus ginge, und da habe ich mir ein Herz gefasst und ihn zum Essen eingeladen. Ich habe ihm stolz erzählt, was für eine hervorragende Köchin du bist. Und er hat michprüfend angeguckt und dann spontan gesagt: ›Also gut, ich komme!‹ Stell dir mal vor, was das für mich, was das für uns für eine Chance ist!«
»Diesen Freitag?«, fragt die Frau.
»Ja, diesen Freitag. Um halb sieben.«
»Um halb sieben. Das geht nicht«, sagt die Frau erschrocken.
»Ja, warum denn nicht?«
»Na, du weißt doch«, sagt die Frau, »dass um diese Uhrzeit unsere Susi noch wach ist. Und was für ein vorlautes und naseweises Ding unsere Tochter ist! Und dann stell dir vor, was dein Chef für eine Nase hat! Einen unwahrscheinlichen Zinken. Ich bin sicher, dass unsere Tochter sich darüber plappernd ihren Mund zerreißen wird. ›Onkel‹«, sie äfft die vorlaute Fünfjährige nach, »›Onkel, warum hast du eine so lange, große, rote Nase!‹ Nein, nein, nein, unmöglich!«
»Aber Unsinn«, sagt der Mann, »du weißt doch, welche Chance in diesem Abendessen steckt. Die Kollegen werden grün und gelb vor Neid werden, wenn es glückt. Und der Chef wird künftig mich bevorzugen und in sein Vertrauen ziehen. Einen Stein im Brett werde ich bei ihm haben. Aufsteigen, eine Gehaltserhöhung ist mir, ist uns sicher.«
»Und unsere Tochter?«, fragt die Mutter. »Du kennst sie doch.«
»Susi ist schließlich schon fünf, und wenn du ihr vernünftig zuredest und ihr klarmachst, was für mich, äh, was für uns auf dem Spiel steht, ich glaube sicher, dass sie sich uns zuliebe zusammennehmen wird. Das schaffst du schon! Wie das gute Essen!« Und er nimmt seine Frau stark und ermunternd in den Arm.
Jetzt war Freitagabend. Die Frau werkelt in der Küche, das Essen brutzelt im Ofen, der Tisch ist gedeckt. Die Getränke sind vorbereitet, die Frau ist schön angezogen. Sie braucht nur noch die Schürze abzunehmen. Sie hatte ihrer Tochter eindringlich zugeredet, und als es klingelt, bittet die kleine Susi, ob sie die Tür öffnen dürfe, um den Gast zu empfangen. Bitte! Bitte! Mami!
»Also gut«, seufzt die Mutter. »Aber du weißt, was ich dir gesagt habe. Kein Wort über die Nase!«
Die Tochter öffnet die Tür, führt wie geheißen den Chef, der mit ihrem Vater eingetroffen ist, in die Diele und ins Wohnzimmer, eilt dann fröhlich hüpfend zu ihrer Mutter in die Küche und kichert wispernd: »Der hat wirklich eine komische Nase. Wie ein Clown im Zirkus.« Sie kichert. Die Mutter erschrickt und sagt: »Susi! Du weißt doch!« »Ja, ja, ich weiß schon, Mama! Aber die ist schon komisch, die Nase.« Und dann legt sie mit einem neckischen »Pssst« den rechten Zeigefinger senkrecht vor ihre Lippen.
Beim Abendessen besteht der Chef darauf, neben der Tochter zu sitzen. »Reizend, die Kleine«, sagt er, und während der Mahlzeit, es gibt eine Hühnersuppe mit Grießnocken, dann gebratene Kalbsleber, Berliner Art, mit Spinat und Kartoffelbrei, schwitzt die Mutter Blut und Wasser und schickt immer wieder verstohlen ängstliche Blicke zu ihrer Tochter, die munter mit dem Chef plappert, der sich davon nicht genervt, sondern offensichtlich erfreut zeigt.
Endlich ist die Mahlzeit vorbei. Die Mutter sagt zu ihrer Tochter: »So, du musst jetzt ins Bett. Gib Mami und Papi einen Gutenachtkuss! Und sag dem Herrn Direktor Gute Nacht. Papa wird dich ins Bett bringen,während ich uns« – sie lächelte dem Chef zu – »einen Kaffee zubereite.«
Dann ist alles überstanden. Die Tochter im Bett, der Mann mit dem Chef gemütlich auf der Sofaecke. Und die Frau serviert den Kaffee. Sie gießt dem Chef Kaffee ein. Und fragt dann: »Und nehmen Sie Milch und Zucker für Ihre Nase?«
Das ist ein Chefwitz oder ein Witz über den gefürchteten Kindermund, es ist ein Witz, der als Chefwitz eine gewisse Ausführlichkeit, ja eine epische Breite beansprucht, damit die Pointe knapp und überraschend explodieren kann. Es ist aber auch ein Witz, der den Freud-Mechanismus des Witzes erklärt. Die Mutter glaubt den psychischen Druck überstanden zu haben, der den ganzen Abend auf ihr gelastet hat. Und nun, da die Gefahr vorüber scheint, platzt es aus ihr heraus. Der Überdruck hat mit seinem Kochtopfmechanismus eine Verschnaufpause genommen.
Natürlich gibt es viel kürzere Chefwitze, der kürzeste, den ich kenne, stammt von Roda Roda (also aus der k. u. k.-Monarchie) und besteht nur aus zwei Dialogsätzen:
Fragt der Finanzamtsvorsteher seinen
Weitere Kostenlose Bücher