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Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Titel: Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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Untergebenen, seinen Sekretär: »Leiden Sie auch so unter Blähungen?«
    Und der antwortet: »Nur unter Ihren, Herr Vorsteher!«
     
    Hier explodiert die Wahrheit schnell, der Leidensdruck der Hierarchie macht sich rasch Luft. Er geht keine Umwege. Er braucht nur den kleinsten Raum zur Entfaltung. Er entlarvt eine erzwungene Intimität in einem auf Distanz angelegten Verhalten von oben und unten, schlagartig. Chef-Angestellten-Witze beruhen auf einer unnatürlichen Nähe in einem auf Distanz angelegten Verhältnis. Um Adorno zu parodieren: Sie entlarvendas richtige Leben im falschen. Sie zeigen eine unnatürliche Vertrautheit, die sich zutraulich und natürlich darzustellen versucht. Sie zerreißen die Theatralik einer falsch gespielten Szene. Herr und Knecht, die so tun, als könnten sie »Gleich und Gleich gesellt sich gern« miteinander spielen. Kumpel sein wollen.
    Es gibt einen Witz aus der »guten alten Zeit«, also sagen wir: aus dem Fin de Siècle, der Zeit der Doppelmoral um 1900 .
     
    Da fährt ein Geschäftsmann mit seinem Prokuristen von Komotau nach Wien – oder von Posen nach Berlin. Sie schließen dort erfolgreich ein Geschäft ab, und zur Feier des geglückten Coups lädt der Chef seinen Prokuristen zur Krönung ihrer Reise am Abend zu einem Bordellbesuch ein. Danach treffen sich die beiden wieder unten im Empfangsraum, und beim Verlassen des Etablissements sagt der Chef zu seinem Prokuristen, auch in einer Art ernüchterter Verlegenheit: »Also ich weiß nicht, aber meine Frau ist viel besser!«
    Und der Prokurist antwortet eilfertig: »Viel besser! Viel besser!«
     
    Auch hier geht es um eine falsche Kameraderie, die der Angestellte verpatzt, indem er sie offenbart. Gleich zweifach zerstört der Witz die unterwürfige Harmonie, das Einverständnis, das beiden um die Ohren schlägt. Der Prokurist, der seinem Herrn liebedienernd servil beipflichten will, versetzt ihm eine Ohrfeige: Genauso wie du deine Frau mit dem Fremdgehen im Bordell betrügst, genauso betrügt sie dich. Mit mir! Deinem Angestellten.
    Aber eigentlich ist die zweite Pointe noch schlagender. Noch enthüllender. Der Prokurist will seinem Chef nach dem Mund reden. Und beleidigt ihn in Wahrheit. Durch die vorauseilendeGedankenlosigkeit. Hat er nicht schon oft vom Chef gehört oder hört er das hier heraus, wenn der Chef gesagt hat: »Also ich weiß nicht, meine Frau ist viel besser angezogen als die Frau des Bürgermeisters.« »Viel besser! Viel besser!«, muss der Angestellte hier antworten. Oder: »Meine Frau spricht viel besser Französisch als ihre Cousine, die doch in Paris gelebt hat!« »Viel besser«, dienert der Prokurist. »Sie tanzt viel besser als die Tochter unseres Konkurrenten!« »Viel besser! Viel besser!«
    Nur in einem Fall darf der Angestellte das »Viel besser!« nicht sagen, weil er seinen Chef dort verletzt, wo dieser dem Angestellten keinen Vergleich erlauben kann und der sich keinen erlauben darf. Die Pointe schimmert böse, zweideutig. Hat der Prokurist das »Viel besser! Viel besser!« nur mechanisch und ohne nachzudenken von erlaubten Bereichen auf einen tabuisierten übertragen? Und blamiert er sich, obwohl da gar nichts dran ist, indem er beflissen etwas plappert, das er gar nicht wissen kann? Oder will der Prokurist seinem Chef eine Lektion erteilen, indem er, scheinbar höflich, beipflichtet? Ihn verletzen und kränken, ohne dass der sich rächen kann.
    Auch in der Geschichte von der Nase liegt ein ungeheurer Druck auf einem Oben-unten-Gefälle. Es geht um die Karriere eines Familienvaters, um Gehaltserhöhung. Es geht nicht um Nach-dem-Mund-Reden wie in dem Bordellwitz, sondern darum, den Mund zu halten. Man mag die Geschichte von der Chef-Nase für weniger oder nur mäßig witzig halten, eines zeigt sie in schönster Deutlichkeit: die psychischen Bedingungen eines Witzes, der in einer Situation stattfindet, die wie ein Überdruckkessel funktioniert.
     
    Cohn trifft Mandelstamm in Venedig.
    »Was machst du in Venedig?«, fragt er.
    Antwortet der: »Ich? Ich hole meine Hochzeitsreise nach. Jetzt kann ich sie mir endlich leisten.«
    »Und wo ist deine Frau?«
    »No, nebbich, zu Hause. Einer muss ja aufs Geschäft aufpassen.«
     
    »Versprich mir, dass du dich mit meiner Mutter aussöhnen wirst«, bittet die sterbende Rebecca ihren Mann. »Bitte lass sie doch zu meiner Beisetzung kommen.«
    »Na gut, wenn es unbedingt sein muss«, sagt resigniert der Mann, »Aber damit verdirbst du mir den ganzen

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