Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
Epoche, wie Karl Kraus. Sie waren die wichtigsten Künstler, wie Arthur Schnitzler oder Gustav Mahler oder Kafka, Werfel und Brod. Kurzum, sie waren ein prägender Teil der Gesellschaft – gerade die späte Blüte der Kultur des Fin de Siècle wäre ohne ihre Beteiligung ärmer, ja eigentlich undenkbar. Trotzdem oder gerade deshalb hatten sie mit dem Antisemitismus zu kämpfen, in dem sich natürlich auch der Neid der Zukurzgekommenen gegenüber den Erfolgreichen spiegelte. Hitlers Selbstlegende, dass er von der Akademie als Nichtjude abgewiesen wurde, und der daraus resultierende Hass des Straßenhausierers Hitler ohne jegliche berufliche Laufbahn sind dafür das grausigste Paradigma.
Gleichzeitig waren viele Ostjuden auf der Flucht vor der Verfolgung in ihrer Heimat und vor den engen Verhältnissen, welche die dortige meist vorindustrielle Lebensweise ihnen bot. Das war die Zeit einer gewaltigen Emigration in die westlichen Länder, bis nach Übersee. Man kann sagen, mit den Juden reisten ihr Witz, ihre skeptische Klugheit, ihre Selbstironie und ihre Geschicklichkeit. In Wien, Berlin oder Budapest trafen die Ostjuden auf die assimilierten jüdischen Großbürger, die Akademiker, Beamte, Gelehrte und Künstler waren. Wie immer bei Immigrationsbewegungen verlief der Zusammenstoß dieserbeiden jüdischen Kulturen nicht ohne Antipathie und Feindseligkeit. Kafkas Vater, der es in Prag aus einfachsten Verhältnissen aus einem jüdischen Dorf zu einer angesehenen Galanteriehandlung im Herzen Prags gebracht hatte, ist dafür ein beredtes Zeugnis. Er verfolgte die Neigung seines (damals noch nicht großen und berühmten) Sohnes Franz, der sich den ostjüdischen Wurzeln näherte, die Auswanderung nach Jerusalem mit Herzls Ideen vom jüdischen Staat befürwortete und vor allen Dingen den Eltern ostjüdische Bräute ins Haus zu bringen drohte, mit Ablehnung, ja Abscheu und Hass. Erst Kafkas früher Tod beendete diesen Familienkonflikt. Ich habe letzte, sozusagen komische Spuren dieses Gegensatzes noch bei Professor Hans Mayer erlebt, dem großen Literaturwissenschaftler und Philosophen, der aus dem rheinischen Judentum stammte und aus der DDR in den Westen übersiedelte. Wenn er etwa seinen großen Konkurrenten und Antipoden im literarischen Leben Marcel Reich-Ranicki stets als »der große Pole« apostrophierte.
Freuds Witzbuch ist voll von jüdischen Witzen, die sich auf Kosten der Ostjuden lustig über deren zivilisatorische Rückständigkeit machen.
Die großen Metropolen Europas erlebten damals einen ungeheuren Schub an Hygiene, medizinischem und sanitärem Fortschritt. In diese zivilisatorische Hochkultur kamen die Ostjuden wie in ein fremdes Land. Die Witze über die mangelnde Hygiene dieser Neuankömmlinge hatten damals – trotz des sich anbahnenden und verschärfenden Antisemitismus – etwa den gleichen Rassismus, wie ihn Witze über Bayern, Österreicher und Ostfriesen aufweisen. Man lacht darüber, ohne diese Übertreibungen zivilisatorischer Zurückgebliebenheit wirklich ernst zu nehmen. Man muss sich heute vor Augen halten, dass diese Witze also Geschichten vom Zusammenprall zweier jüdischerKulturen sind. Ich möchte das an einem Beispiel klarmachen. Damals begann man, Hotels mit fließendem Wasser auszustatten. Die armen Ostankömmlinge, die als Händler von Tür zu Tür zogen, konnten sich die hohen Preise dieser Hotels nicht leisten. Der erste Witz geht so:
Kommt ein jüdischer Händler an ein Hotel und sagt: »Ich möchte a Zimmer.«
Fragt der Portier: »Mit fließendem Wasser?«
Sagt der Kunde: »Bin ich a Forelle?«
Dieser Witz ist nur noch ein geschichtliches Dokument, wie das Märchen von »Hänsel und Gretel« nur ein Beleg dafür ist, dass Eltern in Hungersnotzeiten ihre Kinder aussetzen mussten. Märchen wie Witze halten historische Sachverhalte fest. Also erklären wir den Witz von der Forelle. Die Forelle war damals kein Zuchttier, sondern ein besonders teurer und erlesener Süßwasserfisch, der als Regenbogenforelle an Flüssen und Bächen gefangen wurde, wo das kristallklare Wasser besonders schnell floss. Sie waren, und das lässt sich an Speisekarten damaliger Hotels, also etwa des Berliner Adlon , erkennen, mit das Erlesenste, das auf den Tisch kam. Der arme Handelsjude drückte also mit der Frage »Bin ich a Forelle?« aus, dass er nicht über den Status verfügte, den die Forelle sozusagen auf der Speisekarte beanspruchen durfte. »Fließendes Wasser?«, wollte er
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