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Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Titel: Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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Brief. In Zeiten der Syphilis hat man andere Ängste als in Zeiten des Penicillins. Bürgerliche Gesellschaften leben und lieben anders als Adelsgesellschaften. Die Prüderie in der Arbeiterklasse ist eine andere als die im Schatten einer Klosterkirche. Und so weiter und so fort. Wie jedes Gemälde, jede andere Erzählung erzählt auch der Witz in Momentaufnahmen, wie die Welt sich gerade dreht. Und da ihre größte Triebfeder die Lust und die Liebe, der Eros und die Libido sind, lohnt es sich auch, Witze daraufhin abzuhorchen.
    Im 19 . Jahrhundert gab es viele Komödien, ob von Labiche, von Feydeau oder von Nestroy, die davon handeln, dass junge Männer in die Großstadt reisen, um dort die Abenteuer zu erleben, die ihnen in der Ehe (zumindest offiziell) versagt bleiben. Das hieß auch, auf die Tiermetaphorik gehoben, »sich die Hörner abstoßen«. Ein junger Mann auf der Walz müsse das tun, als junger wilder Stier, ehe er sich in das Joch der Ehe spannen lassen würde.
    Nestroys Komödie Einen Jux will er sich machen handelt davon. Sie wurde im 20 . Jahrhundert von Thornton Wilder unter dem Titel The Matchmaker ( Die Heiratsvermittlerin ) nach Amerika transponiert und erlebte als Hello, Dolly! , also als Musical am New Yorker Broadway, rauschende Erfolge.
    Solche Ausflüge und Ausbrüche ins sexuelle Abenteuer verliefen immer nach dem mörderischen Schema »Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um«. Obwohl sie – weil die Stücke ja Komödien waren, mit dem Motto »Ende gut, alles gut« auch so ausgingen. Die jungen Stiere kommen mit einem blauen Auge davon, ehe sie im Hafen der Ehe ankern. Natürlich war die Großstadt, die im Unterschied zum Zuhause Anonymität garantierte – sie ist die große Verbündete der Amoral – das Ziel aller verbotenen Wünsche. Dort warteten die »verbotenen Früchte« darauf, abgepflückt zu werden. Gefahr bestand nur darin, von der Leiter zu fallen – man sieht, hier wirkt die Vertreibung aus dem Paradies noch in der Sprache nach. Der Apfel der Erkenntnis verwandelte sich in die im Korsett hochgepressten Brüste.
    Das eine große Ziel, das Sündenbabel des 19 . Jahrhunderts, war ohne Zweifel Paris, das damals wohl kaum ein junger Mannohne Augenzwinkern (einverständig wird ein Auge zu- und aufgeblinkt) und ohne ein »Oh, là, là!« erwähnte.
    Die beiden Geschichten spielen also in Paris. Und auch sie enden in der moralischen Ernüchterung der Komödien. Sie übertragen den Frust auf den Zuhörer, der auch in seinen Erwartungen böse gefoppt und düpiert wird. Sein lüsternes Ohr, das Einfallstor zur »schmutzigen Fantasie« (so hieß das), wird enttäuscht. Wenn das Bild nicht so falsch wäre, könnte man sagen: Dem Zuhörer wird die Tür vor der Nase zugeschlagen.
    In Komotau spielt der erste Witz. Sicher einer aus Österreich-Ungarn, denn Komotau war damals eine sprichwörtliche »Heile-Welt-Kleinstadt« in Böhmen.
     
    Ein junger Mann gewinnt in einem Kreuzworträtsel-Wettbewerb eine Reise nach Paris – für eine Woche. Unvorstellbar! Als er zurückkommt, warten seine Freunde am Abend im Gasthaus begierig auf die Schilderung seiner sicher doch pikanten Erlebnisse.
    Er legt also los, schildert die Breite der Straßen, der Champs Elysées, die Lässigkeit der Cafés, die Eleganz der Damen und die Frivolität der Herren, überall wird geflirtet, alles ist in Samt und Seide, man muss sich einfach den Hut schräg abenteuerlustig aufsetzen.
    »Ich hatte Glück«, erzählt er, »ich lernte auf einer Soiree eine Dame kennen, die rauschende Gewänder und einen geschwungenen Hut mit Schleier trug, ich flirtete mit ihr, und, was soll ich euch erzählen, ich hatte Glück, ich reüssierte. Es traf sich, dass ihr Gatte auf einer Geschäftsreise war, und so lud sie mich in ihr Palais zum Dinieren ein. Wir waren tête-à-tête, Diener servierten Wein und köstliche Pasteten, der Tisch war weiß gedeckt, die Gläser und das Besteck glänzten im Licht des Lüsters, das sich auch im Kristall brach.
    Nach dem Kaffee, wir hatten bei Tisch gescherzt und uns zugezwinkert und zugeprostet, öffnete sie eine kleine Tür, die in ein Kabinett zu führen schien, sagte zu mir, ich möge ihr in fünf Minuten folgen. Ich fieberte, ich wartete, ich folgte. Da war auf einer Chaiselongue ein Lager aufgeschlagen, auf dem lag sie hingestreckt, die Korsage halb geöffnet, und winkte mich zu sich heran.«
    »Fabelhaft«, sagten die Freunde, »großartig! Und dann?«
    »Und dann?«, sagte der

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