Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
der Gott des Alten Testaments nicht gedacht, weshalb er sprach: »Wachset und vermehret euch!« Und auch: »Macht euch die Erde untertan.« Wer machte zuerst wen untertan? Doch zurück zu Adam und Eva und den ersten Witz vom Mann, der zu spät nach Hause kommt, was Eva, obwohl sie die einzige Frau auf der Erde ist, gar nicht gefällt. Auf wen kann sie eifersüchtig sein? Die Geschichte ist kurz und bündig und geht so:
Als Adam eines Abends sehr spät nach Hause kam, zählte Eva, als er eingeschlafen war, seine Rippen nach.
Vom Paradies (oder ereignete sich der Witz, und das ist stark anzunehmen, erst nach der Vertreibung aus demselben, als ihnen die Augen aufgingen, sie sahen, dass sie nackt waren und dass sich damit einiges anfangen ließe – nicht nur die Pelzmantelindustrie und die Haute Couture) bis zu einer heutigen Spätheimkehrer-Geschichte ist es ein weiter Weg.
Der Mann kommt sehr spät nach Hause. Er will sich ins Haus schleichen, möglichst ohne seine Frau zu wecken. Es ist Viertel nach drei. Er schließt vorsichtig, ganz vorsichtig die Tür auf, tapst, ohne Licht zumachen, ins Haus, sucht, vorsichtig, nach dem Lichtschalter, dabei ist er furchtbar ungeschickt und wirft den Garderobenständer in der Diele um. Das macht in der nächtlichen Stille einen mörderischen Lärm. Während der Mann erschrocken stehen bleibt, flammt oben das Licht auf, die Frau steht an der Treppe (wie in einem Hitchcock-Film), ein Racheengel im Nachthemd, stemmt die Arme in die Seiten und ruft fragend in Richtung Ehemann:
»Wo warst du? Es ist schon nach drei!«
Er steht da, ein ertappter Sünder, und sagt: »Da du mich jetzt ertappt hast, will ich keine Ausflüchte mehr machen. Also, ich muss dir gestehen, dass ich eine heimliche Geliebte habe, bis jetzt hatte. Ja, so ist das.«
Die Frau guckt verächtlich zu ihm hinunter.
»Angeber!«, schleudert sie ihm aus verzogenen Mundwinkeln entgegen. »Du warst sicher wieder nur beim Kegeln!«
Zwischen beiden Witzen liegt eine riesige Zeitspanne und die Entwicklung einer ganzen Zivilisation. Adam mochte sich noch geschmeichelt fühlen, als Eva seine Rippen zählte und er dabei aufwachte. Der um drei Uhr morgens Ertappte weiß sicher nicht, ob er über das, was seine Frau zu ihm sagte, sich freuen, erleichtert oder eher gekränkt sein sollte.
Der Witz spielt in der Zeit, als der »Herr der Schöpfung« bereits zum »Herrn der Erschöpfung« degradiert war. Vorübergehend? Dauernd? Endgültig? In Samuel Becketts Stück Spiel heißt es lakonisch: »Als er nach Hause kam, roch ich sie ihm an!«
Der Witz von Evas Rippe spielt ganz gewiss nicht zur Zeit der Vertreibung aus dem Paradies, sondern er wurde erzählt zu einer Zeit, als die biblische Geschichte bereits ein Vorwand zu einer bildlichen, »metaphorischen« Darstellung geworden war.Man denke an Michelangelos Schöpfungsbild in der Sixtinischen Kapelle. Man denke an Adam und Eva, die man endlich wieder nackt darstellen konnte, nachdem sie jahrhundertelang nur strengstens verhüllt und bekleidet öffentlich auftraten, züchtig verhüllt im Christentum.
Aber die biblische Geschichte hat herrliche Vorwände für die edelste Pornografie geliefert. Auf wie vielen Kirchenbildern wird Maria, wie sie das Kind stillt, nur deshalb so dargestellt, weil man endlich einen Busen zeigen und malen wollte und einen Vorwand brauchte. Zum Beispiel auch die Renaissance, die endlich erlaubte, die griechische Mythologie, die niemand mehr anders als mythologisch metaphorisch glaubte, in ihrer verdorbenen nackten Unschuld darzustellen. Botticellis »Geburt der Venus«, zahlreiche andere Venusse und/oder respektive Aphroditen. Aber eben auch Maria. Oder den Heiligen Sebastian. Um als Märtyrer von Pfeilen durchbohrt werden zu können, musste er weitgehend nackt sein.
Witze sind auch Stationen einer ständig sich entwickelnden Sittengeschichte. Wir wollen nicht (oder nicht mehr oder nicht mehr nur) vom Fortschritt sprechen. Sondern von einer wellenförmigen Bewegung. Wellenberg und Wellental. Auf liberale, sexuell freizügige Zeiten folgten verengte, in denen die Sexualität verpönt wurde, die Nacktheit eingeschlossen, die Schlafzimmer keinem Blick ausgesetzt.
Die Wiederkehr des ewig Gleichen vollzieht sich in verschiedenen Moden und Zeitläuften. In der Kutsche liebt man anders als im Auto. In prüden Zeiten anders als in Epochen der Libertinage. Vor der Pille anders als mit der Pille. Mit dem Handy betrügt man anders als mit dem
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