Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
wenn du mich schon fragst und ich mir was wünschen darf, dass du eine sechsspurige Autobahn über den Atlantik schaffst. Das wäre das Höchste für mich.«
»Oh«, sagt der Frosch und kratzt sich hinterm Ohr, »das ist schwierig, das ist zu schwierig. Hast du nicht einen anderen Wunsch?«
Jetzt sagt der Mann wie schon in der anderen Version:
»Ich hätte gern, dass meine Frau an einer Misswahl teilnimmt. Nicht gleich Deutschland sucht das Supermodel , sondern die Wahl einer Weinkönigin oder einer Miss Seidenstrumpf, einer Miss Büstenhalter, einer Miss Castrop-Rauxel oder Miss Oktoberfest. Und es genügt, wenn sie dabei sein darf. Sie muss nicht gewinnen.«
Der Frosch schaut sich, natürlich wieder mit Taschenlampe, die Frau im Fond an. Gründlich. Von oben bis unten. Noch einmal von rechts nach links. Dann fragt er:
»Wievielspurig soll die transatlantische Autobahn sein, die du dir wünschst?«
Welcher Witz ist besser? Das ist eine Güterabwägung, würde ein Jurist sagen. In der Autobahn-Version neigt der Frosch, nachdem er die Frau gesehen hat, wieder dem gigantomanischenProjektwunsch zu, mit einer Tausende Kilometer langen Brücke den Ozean zu überspannen. Das ist gegenüber der armen Frau Gemahlin des Fahrers von einer gewaltigen Perfidie.
Trotzdem neige ich eher zu der Hund-Frau-Version. Da stehen zwar keine Milliarden und technische Wunderwerke und Ingenieurskünste gegen das Aussehen der Frau. Hier ist der »Rücktausch« von der Frau zum Wunsch bescheidener. Weniger spektakulär. Aber auch viel gemeiner und niederträchtiger. Während der Hund in seinen Gebrechen und seiner Kläglichkeit fast minutiös geschildert, also gemalt wird, baut sich, als der Frosch die Frau offenbar mit stummem Entsetzen betrachtet, in der Fantasie des Zuhörers ein grässliches Frauenbild auf. Wie muss die Arme aussehen, wenn der Hund schon die reine Erbärmlichkeit ist. Und was noch wichtiger ist: Das Bild entsteht ohne Worte in einem kleinen Zwischenraum des Witzes.
Diese und ähnliche Witze funktionieren, wollte man sie re-religionisieren, nach dem Schema: »Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt.«
Die beiden folgenden Geschichten haben die gleiche Pointe – obwohl sie aus völlig verschiedenen Sektoren des Witzeareals stammen. Der erste ist ein politisch-historischer Witz, der die Enttäuschung nach der Wiedervereinigung wiedergibt, der andere handelt von den sexuellen Wünschen und Nöten, die ein Handelsvertreter in der Provinz erleidet.
Beide haben sie scheinbar und auf den ersten Blick ganz bescheidene Wünsche zum Inhalt, aber das täuscht. Ich wiederhole hier den ersten kursorisch, so gut es für einen Witz geht.
Eine Fee hat eine geraume Zeit nach der Wiedervereinigung einen Polen, einen Ossi und einen Wessi gefragt, was sie sich wünschen. Sie hätten einen Wunsch frei.
Der Pole wünscht sich, dass vor jedem Haus in Polen ein Mercedes steht.
»Erfüllt«, sagt die Fee.
Der Ossi druckst und wünscht sich dann die Mauer wieder, was nach dem neuesten (wir schreiben Sommer 2011 ) Stand bei den Linken nicht mehr ganz so aberwitzig ist, wie es klang, als ich den Witz vor etwa zwanzig Jahren zum ersten Mal hörte.
Die Fee erfüllt auch diesen Wunsch.
Dann fragt sie den Wessi: »Und du? Was wünschst du dir?«
Der stellt ihr erst mal eine Gegenfrage: »Hat wirklich jeder Pole einen Mercedes?«
Als das die Fee bestätigt, stellt der Wessi noch eine Gegenfrage: »Und steht die Mauer wirklich wieder?«
Als die Fee auch das bejaht, sagt er: »Dann, ja dann, dann möchte ich einen kleinen Cappuccino.«
Ein winziger Wunsch am Ende des Witzes. Offenbar eine Anspielung auf die Cappuccino-Generation (Berlin-Prenzlauer Berg, Hamburg-Eppendorf, Frankfurt Bankenviertel), die schon alles hat. Wunschlos glücklich sozusagen. Wenn, ja wenn da nicht die ungeheuren Lasten und Bedrückungen der Wiedervereinigung wären. Die neuen Ostgrenzen, Orte des Schmuggels und des Diebstahls. Der Osten, immer noch ein Kummerland, eine Industriebrache, ein unendliches Groschengrab, aus dem immer noch die jungen Leute in den Westen abwandern. Blühende Landschaften? Von wegen! Die blühen nur, weil sie zu einem menschenarmen Biotop verkommen.
Der bescheidene Wunsch ist in Wahrheit ein gigantischer, schier unerfüllbar. Es ist ein Wenn-dann-Wunsch. Nur wenn die Mauer wieder steht und die anderen Nachbarn, Tschechen wie Polen, auf dem Standard der alten Bundesrepublik
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