Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
wichtigen und durch immer schwächere Gesetzesregeln geschützten) Triebverzichts, der unterdrückten Wünsche, die sich in Traum und Witz flüchten, um sich wenigstens da artikulieren zu können.
Ein gutes Beispiel für die Verformung von Wünschen ist die für Vati und Ehemann bestimmte obligatorische Krawatte, die derselbe von Frau und Kindern gern zu Weihnachten geschenkt bekommt, zum Beispiel bei Loriots Weihnachtsfeier.
Es gibt eine krude Version dieses lammfrommen Wunsches, der eigentlich, jedenfalls in der Überflussgesellschaft, ein Nichtwunsch ist. Denn Papi wünscht sich alles Mögliche, zum Beispiel des Nächsten Weib und des Nächsten Haus, und als Allerletztes die neue blau-weiß gestreifte Krawatte. Hier koppelt sie sich mit einer Urangst (gegen die die moderne Medizin inzwischen Erbgutmanipulationen aufbietet), nämlich der, dass der Nachwuchs nicht vollkommen auf die Welt kommt.
Auf der Geburtsstation erwacht die Frau nach der Geburt ihres Kindes aus ihrer künstlich herbeigeführten Ohnmacht. Der Arzt kommt herein und sagt den Eltern mit besorgter Miene, sie müssten jetzt besonders tapfer sein, ihr Sohn habe gewisse Mängel und Fehler. Und als die Eltern ängstlich undverzweifelt fragen, ob ihm denn eine Hand, ein Arm, ein Bein fehle, sagt der Arzt:
»Leider fehlt ihm noch mehr, nämlich alles. Er besteht nur aus einem Kopf, der aber lebt und ist gesund und munter.«
Die Eltern schlucken tapfer und versprechen einander, das Kind, den Kopf, dennoch großzuziehen und lieb zu haben. Und sie tun es auch bis zum achtzehnten Lebensjahr, als sie der Arzt, der bei der Geburt dabei war, anruft und ihnen eröffnet: Durch eine glückliche Fügung habe eine andere Familie ein kerngesundes Baby geboren, dem nur eines fehle, nämlich der Kopf. Er könne nun aus ihrem Sohn und dem Körper des anderen Sohnes ein völlig gesundes, völlig über alle Gliedmaßen verfügendes Kind als Jüngling zusammenfügen. Die Eltern sollten den Sohn jedoch, damit der freudige Schock für ihn nicht zu groß würde, schonend auf das künftige Glück vorbereiten. Etwa, indem sie ihm für Weihnachten ein besonders großartiges Geschenk ankündigten.
Gesagt, getan. Die Eltern treten an das Bett ihres Sohnes, lächeln zärtlich und vielversprechend und sagen:
»Lieber Sohn, was glaubst du, wird dir der Weihnachtsmann zu deinem achtzehnten Geburtstag wohl bringen?« Sie warten und sehen ihn erwartungsvoll an.
»Oh Gott!«, sagt der Sohn. »Doch nicht schon wieder einen verdammten neuen Hut.«
Auf Englisch: »Oh no! Not another fucking hat!«
Dieser Witz, der mit dem Entsetzen so übertrieben scherzt, dass er den Schrecken ins Absurde hebt – was etwa die Komik derMonty-Python-Filme ausmacht –, beruht auf der praktischen und philosophischen Frage, was man jemandem zu Weihnachten schenkt, der nicht einmal einen Hals für die doch so hübsche Krawatte hat. Oder, wie der Berliner so treffend sagt: »Kiek mal aus’m Fenster, wenn de keen Kopp hast.«
Freud wie Schopenhauer haben in ihrer Witztheorie erkannt, dass es der Trieb ist, die Libido, der Wille zur Arterhaltung, der das Ich in der ihn begrenzenden Außenwelt regieren möchte und muss und sich an den Grenzen der Wirklichkeit dabei sozusagen eine blutige Nase holt – und das notwendigerweise. Schopenhauer führt dafür ein artiges und philosophisch sauber herausgearbeitetes Beispiel von der Unvereinbarkeit der Wünsche auch nur zweier Menschen an.
Sagt ein Philosoph zu einem anderen:
»Mein wünschenswertestes Ziel und größtes Glück ist es, allein durch die Weite der Natur zu wandern.«
Und der andere erwidert: »Mein größter Wunsch wäre, Sie dabei zu begleiten.«
Das ist nicht schrecklich komisch, dafür aber umso treffender.
Es lässt sich verschärft als Sexwunsch erzählen, den weder Schopenhauer noch Freud ihrem Publikum hätten zumuten können.
Trifft ein Masochist einen Sadisten. Sagt der Masochist zu ihm: »Quäl mich!«
Schaut ihn der Sadist an und sagt dann grinsend: »Nein!«
Man kann sagen: Auch hier kann nur einer von beiden auf Wunscherfüllung hoffen. Glück ist als Zweisamkeit in dieser Konstellation nicht vorgesehen. Sexuelle Erfüllung auch nicht.
Für die Wunschmaschinerie des Menschen, sein rastloses Triebwerk, hat mir die Fabel vom Wolf immer besonders eingeleuchtet, in der die Gier die Trieberfüllung verhindert.
Ein Wolf schwimmt mit einem Stück Fleisch im Maul über einen Fluss. Während er so
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