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Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Titel: Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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angekommen sindoder nicht mehr Autos schmuggeln können, nur dann wäre man mit einem kleinen Cappuccino zufrieden.
    Die zweite Geschichte hat die gleiche Pointe, aber einen völlig anderen Verlauf. Sie ist eine traurige Alltagsgeschichte aus einem Vertreterleben, aus dem Leben eines Mannes, der Verkäufer in Vorträgen ausbildet, selber neue Produkte vorstellt, Verkaufsgespräche lehrt oder in Sachen Literatur mit Lesungen, Vorträgen unterwegs ist, von Ort zu Ort, von Marktplatz zu Marktplatz, von Buchhandlung zu Buchhandlung, von einer Messe zur nächsten Vertretertagung. Er will vorsorgen für die Nacht nach einem anstrengenden, entbehrungsreichen Tag. Also:
     
    Ein Mann kommt in, sagen wir, Schweinfurt oder auch Erlangen oder auch Kassel zu einem Hotel und hat ein Zimmer reserviert. Er kommt am Vormittag an, trägt sich ein und sagt dem Portier:
    »Ich möchte heute am späten Abend in meinem Zimmer eine Sexparty veranstalten. Besorgen Sie mir eine Domina mit einer achtschwänzigen Peitsche, sechs junge Sexsklavinnen, eine ordentliche Portion Kokain, Rasierklingen, Champagner, Handschellen und Fußfesseln sowie einen Sarg.«
    Der Portier sagt: »Mein Herr, wie stellen Sie sich das vor? Wir sind hier in der Provinz! Wie soll ich das alles beschaffen?«
    Der Gast sagt: »Das ist mir egal. Ich zahle gut. Besorgen Sie alles. Spätestens um 23 Uhr 30 bin ich zurück von meiner Arbeit und erwarte, dass alles so ist, wie ich es mir wünsche und bei Ihnen bestellt habe.«
    Der Mann verlässt das Hotel, geht seiner schweren Arbeit nach, kommt um 23 Uhr 30 zurück, wo ihn der Portier erwartet.
    »Mein Herr«, sagt er, »es ist fast alles nach IhrenWünschen arrangiert, wir haben sechs junge Sexsklavinnen, das Kokain, die Rasierklingen, den Champagner, den Sarg und auch die Domina. Leider waren in der Eile keine Handschellen und Fußfesseln zu bekommen.«
    Der Mann sagt: »Das macht nichts. Ich habe es mir ohnehin anders überlegt. Ich möchte nur einen kleinen Cappuccino.«
     
    Ist er ein armes Würstchen, das mit seiner Bestellung nur angeben wollte, ist ihm über den Tag der Mut ausgegangen und hat er nicht genug verdient, um sich diese Orgie à la Jörg Immendorff leisten zu können? Ist ihm eine Laus über die Leber gelaufen? Hat seine Frau ihm ihre plötzliche Ankunft per Handy angekündigt? Wir wissen es nicht! Wir lassen den Witz nur nach seiner überraschenden, ernüchternden Pointe in unserem Kopf Revue passieren. Mit Neugier und Schadenfreude. Wer übernimmt die Spesen, die das Hotel in der biederen Provinz im Voraus hatte? Und wer zahlt für die vielen Telefonate des Portiers? Oder, wie es in dem alten Karnevalslied heißt: »Wer soll das bezahlen?« Wir wissen es nicht, wollen es auch nicht wirklich wissen, sondern delektieren uns nur an dem Gefälle vom großsprecherischen Abenteuer ins bescheidene Nichts des »kleinen Cappuccino«.
    Hier ist niemand, wie der Wessi im ersten Cappuccino-Witz, wunschlos glücklich, weil die Welt nach seinem Willen und seiner Vorstellung geordnet ist, sondern jemand sieht ein, dass es für ihn leider bestenfalls für einen kleinen Cappuccino reicht.
    Apropos: Die Welt als Wille und Vorstellung . Schopenhauer, der in seinem zweibändigen philosophischen Hauptwerk im ersten Band über theoretische Überlegungen zum Witz geschrieben hat (der Witz ein Missverhältnis zwischen dem, was man will, sich vorstellt, und dem, was man erreicht, der pessimistischePhilosoph ist ein Vorläufer von Freuds Libido-Theorie, nur dass sie hier als Wille zur Arterhaltung im Darwin’schen Sinne wirkt), erzählt im zweiten Band einige Witze von Wünschen.
    Schillers Ballade »Die Bürgschaft« handelt ja von der unverbrüchlichen Treue zweier Freunde bis über den Tod, sodass der gerührte Tyrann sich am Schluss, nachdem sie ein todesmutiges Beispiel der Freundschaft geliefert haben, nur eines wünscht: teilzuhaben an ihrem edlen Freundschaftsbund. Er tut das mit den geflügelten Worten:
     
    Ich sei, gewährt mir die Bitte,
    In eurem Bunde der dritte!
     
    »Ich sei, gewährt mir die Bitte« ist eine besonders dringliche Wunschformel.
    In Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung wird aus dem edlen Wunsch die schlichte Begierde einer »Ménage à trois«.
    Theoretisch heißt das bei Schopenhauer so: »Das Lachen entsteht jedesmal (gemeint ist beim Witz) aus nichts Anderem als aus der plötzlich wahrgenommenen Inkongruenz zwischen einem Begriff und den realen Objekten, die durch ihn, in

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