Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
das uns von einer Verstopfung der Nase erlöst. Oder wie ein Ventil, durch das wir, während wir lachen, den Überdruck loswerden. Der Witz funktioniert oft genug wie eine Erkenntnis, die, lange unterdrückt, ans Licht will. Heraus mit der Wahrheit. Oder wie es Leute gern als Reaktion auf schlecht empfundene Witze ausdrücken: »Witz komm raus! Du bist umzingelt.«
Sigmund Freud, der Schöpfer der Psychoanalyse, die uns mit dem Seelenleben, mit der inneren Verarbeitung des äußerenLebens vertraut gemacht hat, in dem wir nur manchmal – im Traum, im Schlaf und in kranken Phasen – wissen, wie es bei uns einzeln, aber auch kollektiv im Keller aussieht, dort, wo selten Licht hineinfällt, zitiert in seiner Arbeit Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (diese Witztheorie und Komikanalyse erschien 1905 ) K. Fischer und stimmt dessen These zu, dass der Witz etwas Verborgenes und Verstecktes hervorholen müsse. Man könnte ergänzen: etwas, das wir gern verschweigen würden, besser: notgedrungen verschweigen sollten, wenn es sich im Witz nicht offenbaren dürfte.
Freud gibt dafür ein Beispiel, indem er folgende Geschichte erzählt:
Ein junger Mann, der bisher in der Fremde ein heiteres Leben geführt hat, besucht nach längerer Abwesenheit einen hier wohnenden Freund, der nun mit Überraschung den Ehering an der Hand des Besuchers bemerkt. »Was?«, ruft er aus. »Sie sind verheiratet!«
»Ja«, lautet die Antwort: »Trauring, aber wahr.«
Freud analysiert diesen Witz so: »Der Witz ist vortrefflich; in dem Wort ›Trauring‹ kommen die beiden Komponenten, das Wort ›Ehering‹ in ›Trauring‹ verwandelt und der Satz ›Traurig, aber wahr‹ zusammen.« Ein Wortspiel, das es dem Lachenden ermöglicht, die bittere Erkenntnis zu verarbeiten, dass die Ehe aller Erfahrung nach auf die Dauer kein Honigschlecken, kein immerwährender Honeymoon ist, wie wir, schon um des Zusammenhalts der Gesellschaft wegen, normalerweise unterstellen müssen. Ehe und Eheglück, das ist anscheinend ein Synonym. Jedenfalls ist es der tragende Boden, auf dem unser Zusammenleben beruht. Eigentlich hätte der Freund beim Anblick des Rings am Finger sagen müssen: »Was? Du bist verheiratet? Du glücklicher Mensch!« Dass die Ehe in der bürgerlichen Gesellschaft die notwendigste Institution für den Zusammenhalt der Familie und als Folge wichtig für die Zukunft jeder Gesellschaft ist, dabei aber ihr vorgebliches, ihr offiziell postuliertes Glück auch durch Zwänge, durch Triebunterdrückung behaupten muss, macht dieser Witz schlagartig deutlich. Und Freud bereitet ihn durch die Erzählung auch vor, indem er von einem Mann berichtet, der »ein heiteres Leben geführt« habe, also offenbar ein freies, ungebundenes Leben, frei von Haushaltssorgen, Ehekrächen, Kindergeschrei, Eifersuchtsszenen, kurz: heiter. Das, was Schiller in dem der Ehe zugeordneten Satz kurzschließt: »Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.«
Im Sommer 2011 wurde eine große Hochzeit im englischen Königshaus gefeiert. William Mountbatten-Windsor und Catherine Middleton gaben sich das Jawort – ein Fahnenmeer, herrliche Kleider, Schmuck, Blumen. Ja, ein Blumenmeer, so wünschen es sich alle Eheleute. So als sollte schon allein die Trauung für das Traurige, das folgt, durch Überfluss überzeugen. Und ganz nebenbei: Neben all dem Geschwafel und Gestammel vom königlichen Glück, sozusagen nüchtern, erfahren wir: Im Falle einer Scheidung verliert die Braut Kate Middleton als Ehefrau des Prinzen sämtliche Rechte an ihren Kindern. Traurig, aber wahr. Da ihr Mann der Sohn von Lady Di ist, die auch schon eine Jahrhunderthochzeit feiern durfte, wissen wir, dass solche »Witze« im englischen Königshaus durchaus üblich sind.
Der Bildungsbürger wusste das schon lange, während er Latein büffelte, indem er lernte:
Was heißt Ehe?
Die Auflösung: »Errare humanum est.«
E-h-e. Irren ist menschlich.
Heute gibt es eine zeitgenössische Variante zu »Trauring, aber wahr«. Sie ist in dem Dialog enthalten, den zwei Freunde führen.
Fragt der eine: »Was reizt dich noch an deiner Frau?«
Der andere antwortet: »Jedes Wort!«
Der Zwang, der gesellschaftliche Druck, den die Ehe und die Familie auf die beiden Hauptteilnehmer ausüben, hat sich auch durch die liberalen Scheidungsgesetze, vor denen selbst Königshäuser nicht zurückschrecken, nicht geändert. Auch wenn das Dauergebot »… bis dass der Tod euch scheidet« nicht mehr gilt. Um
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