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Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Titel: Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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ließe sich das zu einem Symbol gewordene Kreuz wieder in Fleisch gewordene Wahrheit zurückverwandeln. Als werde das Geistige rematerialisiert. Auch hier ist es wieder eine Frage:
     
    Was wäre passiert, wenn Christus nicht am Kreuz gestorben, sondern gevierteilt worden wäre?
Antwort: Dann hingen in allen Kirchen und bayerischen Schulstuben Mobiles.
     
    Ich hätte mich nicht getraut, diesen Witz zu erzählen, bevor ich die Pensionsgrenze und unsere moderne westliche Welt das »Anything goes« überschritten hätten. Ich fürchte immer noch, damit religiöse Gefühle zu verletzen. Trotzdem drängt es mich ab und zu ganz unwiderstehlich, gerade diesen Witz zu erzählen.
    Wir alle werden zu Sauberkeit, zu Vernunft, zu äußerlicher Reinheit erzogen und möchten uns doch manchmal wie ein Kind, das von einem Spaziergang mit den Eltern ausbüxt, in den Sonntagskleidern beschmaddern und beschmuddeln. Wir sind davon auch durch Strafe nicht abzuhalten. Und auch oft nicht durch Belohnung. Wie ein Hund, der sich von der Leine reißt und ungezügelt und ungebremst seinen Trieben und seiner Jagdleidenschaft nachgibt. Witze sind wie Hunde, die sich von der Leine reißen, wenn wir keine Kinder mehr, sondern sauber gewordene Erwachsene geworden sind.

POLITIK IM WITZ
    Es ist eine Binsenwahrheit, dass der politische Witz unter politischem Druck am besten gedeiht. Den Titel der Fernseh-Dauersoap könnte man einfach abwandeln in Gute Zeiten, schlechte Witze (GZSW) oder, umgekehrt, Schlechte Zeiten, gute Witze (SZGW) . Und Brechts Kalenderspruch »Glücklich das Land, das keine Helden braucht« ohne Weiteres zu der Variante umformen: »Glücklich das Land, das keine Witze braucht.« Wie gesagt, eine Binsenwahrheit, die aber doch die Freud’sche Witztheorie stützt. Je größer der Druck, desto stärker die Witze. Wie im Falle Moral und Sexualität, dem anderen großen Spielplatz des Witzes, gilt auch hier: Wenn der Druck zum Überdruck wird, muss er pfeifend entweichen. Das Pfeifen im Walde wird im Witz zum Lachen im Walde, selbst wenn man sich dazu verstecken muss. Oder um ein falsches Bild zu wählen: wenn man dazu in den Keller muss. Das Verbotene, Tabuisierte, Verdrängte ist auch in der Politik der stärkste Witz-Druck. Wer nichts zu lachen hat, braucht den Witz.
    Mark Twain, der große amerikanische Humorist und Erzähler, hat einmal die sicher weise Feststellung getroffen, dass im Himmel nicht gelacht würde. Die brauchen das dort nicht, weil sie ohne Lachen vollkommen zufrieden sind.
    Ich hatte, um es zynisch zu sagen, was meine Wahrnehmung des Witzes bis zum achtzehnten Lebensjahr betrifft, ein Riesenglück. Ich lebte in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Diktaturen, den schrecklichsten, blutigsten, mörderischsten der europäischen Geschichte: in der Kriegs- und KZ -Diktatur Hitlersund anschließend in der Diktatur des Gulag, des stalinistischen Terrors, der Schauprozesse, der Menschenverschleppungen und Vertreibungen – was für ein furchtbar fruchtbarer Boden für die grausigsten Witze, für das sardonische Todesgrinsen zweier Menschenschlächter namens Adolf Hitler und Josef Wissarionowitsch Stalin, die alle umbrachten, die ihnen widersprachen, ihnen im Wege waren, ihr Missfallen erregten. Sie verwüsteten die Erde, von der sie meinten, sie müsse ihnen untertan sein.
    Auch wenn man nur Witze erzählte, konnte man umgebracht werden: wegen Volksverhetzung, Wehrkraftzersetzung, Sabotage, Beleidigung und Verleumdung des jeweiligen Führers. Auch das Lachen, das sie provozierten, konnte lebensbedrohlich, lebensgefährlich für diejenigen sein, die den Despoten witzig oder komisch kommen wollten. Todesstrafe, Straflager, Volksgerichtshof, Schauprozess, Dachau, Sibirien, Auschwitz, Bautzen.
    1951 hätte mich ein gefährlicher Witz, ein Ausbruch unfreiwilliger Komik, beinahe zerstört. Man konnte damit konfrontiert werden wie mit dem Anschlag eines Selbstmordattentäters, wie mit einem Tretminenfeld im Kriegsgebiet. Der Zeichner der rührend komischen »Vater und Sohn«-Bildergeschichten E. O. Plauen wurde von einem Nachbarn denunziert und beging vor Prozessbeginn Selbstmord. Eine junge Studentin in der DDR wurde, weil sie Stalin auf einem Plakat mit einem zusätzlichen Schnurrbart verunziert hatte, zu mehreren Jahren Haft in Bautzen verurteilt, Jahre später büßten Mediziner in Jena für ein Kabarettprogramm bei einer Uni-Veranstaltung mit ihrer Karriere und ihrem Fortkommen – es ließen sich Tausende größerer

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