Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
allem im amerikanisch besetzten Teil Deutschlands und Berlins, Besatzungskinder nicht selten durch ihre Hautfarbe verrieten, dass ihre Väter dunkelhäutige Soldaten waren. Hier also der Witz, der letzte in der großen Familie der Tierwitze:
Zwei Berliner Hühner stehen vor einem Haufen Eierbriketts. Sagt das eine Huhn: »Kiek mal, lauter Besatzungskinder!«
Witze sind Zeitzeugen. Wer diese Witze liest, kann rekapitulieren, dass es in den kalten Nachkriegswintern nichts zu heizen gab – und wenn überhaupt, dann nur aus Kohlenstaub zusammengepresste Eierbriketts.
SIGMUND FREUD UND DIE FÜNFZIGERJAHRE
Anfang der Fünfzigerjahre, ich war gerade in den Westen gekommen, kaufte ich mir in Tübingen, schon weil sie erschwinglich waren, ein paar Taschenbücher, von denen ich in der DDR hatte läuten hören, mit denen ich aber nichts Inhaltliches verband. Zuerst erwarb ich von Kurt Tucholsky, dessen Glossen und Texte in zwei rororo-Büchern erschienen waren, Panter, Tiger & Co. und ro ro Tucholsky – Zwischen gestern und morgen. Bei beiden konnte man lachen lernen, indem einem das Lachen verging. Zum ersten Mal war ich bewusst mit einem Satiriker der Weimarer Republik bekannt geworden, dessen Bücher die Nazis verbrannt, den sie ins Exil und in den Selbstmord getrieben hatten.
Dann entdeckte ich, dass von Sigmund Freud bei Fischer als Taschenbuch vier Bände erschienen waren: Zur Psychopathologie des Alltagslebens , Totem und Tabu , aber vor allem interessierten mich Die Traumdeutung und Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten . Die Lektüre dieser Bücher hat mich befreit und gefesselt zugleich. Freud hat in diesen Schriften, die man wohl als seine populärwissenschaftlichen bezeichnen kann, gezeigt, dass wir eine Ahnung davon bekommen können, wie unsere Seele, unser geheimes Innenleben, unser psychischer Apparat aussehen kann. Es war eine Art Röntgenaufnahme (oder, wenn es das schon gegeben hätte, was aber lange nicht der Fall war: eine Tomografie), die an sichtbar gemachten Symptomen zeigt, was in uns vorgeht, was uns im Inneren bewegt. Uns prägen doch von Anfang an, spätestens seit der Geburt, Geschichtenvon Kämpfen, erlittenen Demütigungen, bestandenen Siegen, verletzten Gefühlen.
Es geht zu wie auf einem Schlachtfeld, auf dem das Verdrängte in einem scheinbaren Totenreich gebunkert wird, aber an den Gefängnistüren rüttelt, nachts aufwacht und sein Gespensterleben in unser nur halb schlafendes Bewusstsein drängt.
Dieses Bewusstsein hat während seiner Schlachten zur Ich-Werdung bei all den Niederlagen, Fluchten und bei allem Versteckspielen eine Art Himmel über sich errichtet, in dem die Gerichte sitzen, die Religionen herrschen, die Könige befehlen. Freud hat es unser Über-Ich genannt, es ist gleichzeitig aus persönlichen wie aus sozialen Erfahrungen entstanden, es soll die Wiederkehr der Metzeleien und Schlachten mit dem Unbewussten, das gegen Konvention, Sitte, Gesetz und Erziehung ständig rebelliert hat, verhindern. Es sind sozusagen die Gesetzestafeln, die Zehn Gebote, die Moses vom Berg Sinai herabgeholt hat. Man kann sich unsere Seele auch als eine Stadtlandschaft vorstellen, und diese Landschaft habe ich in Schnitzlers Reigen wie in Kafkas bedrohlichen Landschaften im Proceß und im Schloß wiederentdeckt. Im hoch gelegenen Schloss hausen unerreichbare Instanzen, die der Landvermesser K. vergeblich aufsuchen will. Landvermesser, dieser Beruf erinnert schon an Schnitzlers Satz »Unsere Seele ist ein weites Land«. Weit, dunkel, unergründlich, bedrohlich, scheinbar von Willkür geleitet, bedroht diese Instanzenwelt das Ich bei seinem Versuch, sich zwischen unten und oben mit wohlgezogenen Grenzen und mit heroisch geführten Kämpfen zu behaupten. In Schnitzlers Reigen und seiner Traumnovelle geht es um diese drei Regionen. Das Über-Ich, das gnadenlos vom hohen Ross herab urteilt – die Landschaft der Gerichte und Schlösser ist mit gebietenden Reitern bestückt, so schien es mir damals. Unten im Dunkeln der Nacht und des Unbewussten wälzt sich das Es in seinen Exzessen und Räuschen, wie in Kaschemmen. Mir tat sich immer auch das Bild aufvon dem Stein, den wir im Frühjahr über dem Erdboden lüften und erschrocken sehen, was da an Gewürm herumkreucht, weiß und madig. Das mag ein sehr persönliches Bild meiner Angstvorstellungen und Angsterfahrungen gewesen sein.
Am Tag aber, wenn wir vernünftig, gezähmt, sauber angezogen und frisch gewaschen und gekämmt
Weitere Kostenlose Bücher