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Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Titel: Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
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Momentaufnahmen, die sich an der Politik entzünden. Der jüngste Fall für mich ist der Fall Guttenberg. Er handelt vom jähen Aufstieg und schnellen Fall eines Ministers, der mitten in die graue Glanzlosigkeit der matten ersten Monate des schwarz-gelben Kabinetts Merkel-Westerwelle Glanz brachte, der bald wieder verlosch.
    Wer in der Politik zu Lebzeiten zur Witzfigur wird, hat meist nicht mehr viel zu lachen. Wie derjenige, der über Politiker in Diktaturen Witze reißt, riskiert, bald nichts mehr zu lachen zu haben.
    Es könnte der amerikanische Präsident Jimmy Carter gewesen sein, aber jeder andere, von Truman über Eisenhower, Kennedy, Nixon, Reagan oder Bush (Vater und Sohn), wäre bei dem folgenden Witz als Zielscheibe auch willkommen – also, es soll Carter gewesen sein, der seinem sowjetischen Gegenspieler im Kalten Krieg, Leonid Breschnew, die folgende Frage gestellt haben soll:
     
    Carter: »Sammeln Sie auch Witze, die über Sie im Umlauf sind?«
Breschnew: »Nein, aber ich sammle Leute, die Witze über mich erzählen. In Lagern.«
     
    Der Mächtige fürchtet, wenn er durch den Witz verächtlich gemacht wird, die Gefahr der eigenen Zerstörung. Witze bedrohen ihn – wie es Andersens Märchen von »des Kaisers neuen Kleidern« satirisch festgehalten hat. Orwells »Großer Bruder« in 1984 muss befürchten, dass ihn jeder, der ihn lächerlich zu machen sucht, in seinem Machtanspruch bedroht.
    Wir dürfen uns das Verhältnis zwischen Witz und Macht durchaus als asymmetrische Kriegsführung zwischen den Mächtigen und den Unterdrückten vorstellen. Für diejenige, die ihre Witze in totalitären Systemen auf Kosten der Herrscher und der Herrschaft reißen, ist die Gefahr, die für sie darin besteht, dass sie die Witze wagen, Bestandteil ihrer Würde und ihrer oppositionellen Kraft. Witze nehmen die Macht – jedenfalls für den Moment der Pointe – nicht ernst, auch nicht Julius Cäsars Sprichwort: »Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten.« Hört die Furcht für den Augenblick auf, in dem man über das Terroristische, Furchterregende der Herrschaft zu lachen und zu spotten wagt, dann fühlen sich die Mächtigen in ihrer Unantastbarkeit bedroht. Für den Geduckten, Unterdrückten bedeutet es, dass er sich die Freiheit nimmt, die auszulachen, die ihn bedrücken, unterdrücken. Er gewinnt seine Würde wieder, seine Freiheit. Er bezahlt diese Freiheit mit dem Risiko, ausgelöscht zu werden.
    Andererseits erlauben Machthaber, glauben sie sich fest im Sattel, den Spaßmachern, sich auf ihre Kosten lustig zu machen. Stalin, im Hochgefühl seiner Macht, soll Witze über sich genossen und goutiert haben, sie schmeichelten ihm. Sie zeigten ihm, wie sehr er gefürchtet war. Anders ausgedrückt: Sie festigten seinen Sockel. Auch Göring, der Reichsmarschall Hitlers, soll Witze über sich geschätzt haben als Gradmesser seiner Popularität. In solchen Fällen wird das Dampfablassen des Überdrucks im Kessel nach außen als Regulativ empfunden. Tauwetterperioden im Kalten Krieg versendeten solche Zeichen: Es darf gelacht werden! Wir sind souverän. Wir fürchten nichts. Nicht einmal den Witz. Im Hintergrund blieb allerdings die Überzeugung: »Alles hat seine Grenzen!« – »Alles muss seine Grenzen haben.« – »Bis hierher und nicht weiter!« Und so bleibt es bei der Asymmetrie im Kampf zwischen Witz und Macht. Beide Seiten loten die Grenzen aus.
    Natürlich ereignet sich Politik überall, auch in Staaten, die zumindest die selbst gesetzten Normen und Regeln anerkennen und diese mit den allgemein anerkannten Menschen- und Bürgerrechten in Einklang zu bringen suchen. Im Übrigen sind von den rund 200 Staaten, die in der UN anerkannt und vertreten sind, 180 nicht so stabil, dass sie diesen Normen entsprechen. Gäbe es Rating-Agenturen für Politik, sähe es in der politischen Wirklichkeit ähnlich desaströs aus wie im momentanen Zustand der Weltwirtschaft.
    Selbst da, wo es an der Verfassung der Staaten, ihrer garantierten Freiheit, Rechtssicherheit, (theoretischen) Gleichheit nichts zu kritisieren gibt, wo Politiker sich Wahlen stellen müssen, wo Gerichte ihre Macht kontrollieren können, wo ein Gleichgewicht der Kräfte herrscht, Minderheitenrechte geschützt sind, findet der Witz noch genügend Stoff und Themen. Wir leben, wie gesagt, in einer gebrechlichen Welt. Die Demokratie ist nicht die beste aller Staatsformen, sondern nur die am wenigsten schlechte. Die Gleichheit hat Anatole France so

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