Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
definiert, dass sie in ihrer unendlichen Gerechtigkeit es Armen wie Reichen verbietet, unter den Brücken zu schlafen.
Man kann Gier, Geilheit, Heimtücke, Neid, Machtmissbrauch nicht abschaffen, nur – wenigstens theoretisch – öffentlich sichtbar machen. Die Willkür und ihre Einschränkung, die Lüge und ihre Entlarvung, das sind auch im politisch friedlichen Alltag Themen für Witze. Und immer ist der Witz das Kind im Märchen, das sagt: »Aber der Kaiser ist ja nackt.« Politik lebt überall auch vom Pathos, das sie um sich verbreitet. Der Witz reißt ihr diese verhüllenden Fetzen und Schleier vom Leib.
An diese Stelle passen zwei Witze aus der Breschnew-Ära. Leonid Breschnew regierte nach Chruschtschows Sturz 1964 (der es nach Stalins Sturz immerhin auf eine Herrschaft von elf Jahren gebracht hatte) bis 1982 . Bei Machtantritt war er immerhin schon 58 Jahre alt. Es war die Zeit der unendlich langen Agonie des Sowjetstaates, der Herrschaft eines sklerotischen Politbüros, dessen Mitglieder sich misstrauisch beäugten, damit nur ja keine Veränderung stattfinden konnte und ein unbewegliches Gleichgewicht das Land in einer Starre hielt. Es gab keinerlei Rechtssicherheit, keine unabhängige Justiz, keine Wahlen – kurz: Es war eigentlich nicht viel anders als heute in Russland, nur dass offiziell der Marxismus herrschte. Korruption und Vetternwirtschaft gibt es heute wie schon zu Zeiten des Zaren.
Hier also der erste Witz, den ich dem Buch Das komische Manifest. Kommunismus und Satire von 1917 bis 1989 von Ben Lewis verdanke. Er spiegelt die geistige Verkalkung des greisen Sowjetführers wider, Breschnew hatte damals bereits mehrere Schlaganfälle erlitten.
Breschnew verliest eine Rede: »Wer behauptet, dass ich immer nur vom Blatt ablese? Ha, Komma ha Komma ha Komma ha Komma ha.«
Der Witz ist nicht systemgebunden. Er trifft eine lange Herrschaft. Einen Herrscher, der als Greis entlarvt wird, der längst auf dem Marsch in die Altersdemenz ist. Solche Witze gab es von dem betagten Reichspräsidenten Hindenburg, dessen Alterungsprozess die schnelle Agonie und den galoppierenden Untergang der Weimarer Republik spiegelte.
Die Rede Hindenburgs geht so:
Und hiermit schließe ich mit einem dreifachen Hoch auf das deutsche Vaterland. Es lebe hoch! hoch! (Pause, Rascheln, weil Hindenburg umständlich umblätterte) Hoch!
Solche Witze streifen das politische System nur am Rande, sie treffen nur seine geriatrische Immobilität und damit die geistige Aushöhlung seiner Führer und Strukturen. Nicht zufällig lässt sich der gleiche Witz auch über einen begriffsstutzigen Fagottisten machen, der die berühmte Stelle im Rigoletto spielt:
»Ta, Ta, Ta, Ta, Ta, Ta – Ta«, und vor der letzten Fermate stets raschelnd sein Notenblatt umblättert. Bis der ungeduldige Dirigent ihm bei der Probe schließlich einen Notenumblätterer zur Seite stellt. Wieder spielt der Fagottspieler »Ta, Ta, Ta, Ta, Ta, Ta«, und dann setzt er sein Instrument ab, sagt leise »Danke schön« zum Umblätterer und spielt dann »– Ta!«.
Das hat, wie das Beispiel belegt, nichts mit Politik direkt zu tun, nur mit der immobilen Begriffsstutzigkeit, mit der sie ausgeübt wird.
Das Gleiche gilt für die Lübke-Witze. Heinrich Lübke war von 1959 bis 1969 Präsident der Bundesrepublik. Besonders in der zweiten Amtszeit, die er durch einen vorzeitigen, als quälend spät empfundenen Rücktritt beendete, machte sich seine fortschreitende Demenz bemerkbar. Schon in seiner ersten Amtszeit war er durch eine knorrig schlichte, sauerländisch getönte Sprache aufgefallen, über die sich der Volkswitz in zahllosen Scherzen lustig machte. So soll er eine Rede in Afrika mit der Ansprache »Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger« begonnen haben. Vor allem das Englisch des »silberhaarigen Sauerländers« (Der Spiegel) war Gegenstand ständigen Spotts. Er sagte zu Sportlern, sie seien »heavy on wire« (schwer auf Draht), oder sagte zu Beginn einer Rede: »Equal goes it loose.« – Gleich geht es los.
Der blödeste Lübke-Witz, so saudumm konstruiert, dass er schon wieder komisch ist, spielte in Indien.
Da zeigte ein indischer Minister dem greisen Staatsgast weite Felder. Und als Lübke fragte, was denn hier angebaut würde, antwortete der Inder: »Alles Jute!«
Darauf Lübke: »Danke! Ihnen auch!«
Solche Witze tauchen vor allem dann auf, wenn Amtszeiten von Politikern als quälend lang empfunden
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